Ein Beitrag von Christoph Minhoff.

Ein kurzer Blick aus dem Fenster bestätigte die Erinnerung: Ja, es ist derzeit Herbst. Gelbe Blätter, Wind, Nebel… Umso mehr verwunderte der Blick jüngst in die BILD-Zeitung, denn dort sorgte eine Schlagzeile für jahreszeitliche Verwirrung: „Gesundheitspolitiker fordern: STRAFSTEUER FÜR DICKE! “ Die Überschrift in Alarmrot und die Hauptzeile fett wie der Stoff! Ein klassisches Sommerloch-Thema eben. Es ist aber Herbst. Die Erklärung: Tatsächlich gibt es neuerdings eine weitere Zeitungsenten-Jahreszeit: Koalitionsverhandlungssaison.

Der Autor des BILD-Artikels Einar Koch – über den im weiteren Verlauf noch zu sprechen sein wird – hatte diese Mediengranate über Kalorien-Bomben entdeckt. Oder möglicherweise selbst inszeniert? Zitat: „Zwangsdiät für Übergewichtige: Experten von SPD und CDU wollen auf Kalorien-Bomben eine Strafsteuer erheben!“ Als Urheber der Forderungen wurden dabei zwei Bundestagsabgeordnete dingfest gemacht: Edgar Franke von der SPD und Erwin Rüddel von der CDU.

Wer sind die beiden, die jüngst zum Zeitpunkt der Verhandlungen über eine große Koalition mit einem solchen Vorschlag für Aufsehen sorgten? Süddeutsche, Frankfurter Allgemeine bis hin zum Spiegel stiegen auf das Thema ein. Ein medialer Coup. Beide – soviel ist klar – sind als Bundestagsabgeordnete der letzten Wahlperiode Mitglied im Gesundheitsausschuss des Parlaments gewesen. Beide sind übrigens jüngst wiedergewählt.

Dabei hinterließ das politische Duo kaum Spuren in der letzten Wahlperiode. Ein paar Reden im Bundestag, ein paar Anträge, ein paar Fragen in den aktuellen Stunden. In der überregionalen Berichterstattung über die Kernthemen der Gesundheitspolitik sind beide nicht vertreten. Auch bei den oben genannten nationalen Leitmedien wird man für vier Jahre unter den Namen Franke und Rüddel nicht fündig – genauer nur zweimal, und das mit sachfremden Themen.

Und da ist man überrascht. Schon einmal hatten Franke und Rüddel zugeschlagen. Im Sommerloch! Damals – der Autor des BILD-Zeitungsartikels war übrigens kein Geringerer als Einar Koch (sic!) – forderten die beiden offenbar in einem weiteren ihrer Fachgebiete sachkundig: „Gesundheitspolitiker fordern: KONDOMPFLICHT FÜR PORNOS AUCH IN DEUTSCHLAND!“ Zitat: “Kommt für Akteure in Pornofilmen eine Kondompflicht? Im Bundestags-Gesundheitsausschuss wird darüber ernsthaft diskutiert! SPD-Gesundheitsexperte Edgar Franke zu BILD.de: „Sollten auch bei uns nachweislich HIV-Infektionen bei Pornofilmen auftreten, muss man zum Schutz der Darsteller ernsthaft über eine Kondompflicht nachdenken.“ Erwin Rüddel (CDU): „Wenn sich solche Fälle in Deutschland bestätigen, muss eine Kondompflicht erwogen werden.“ Ein Déjà vu! Franke fordert, Rüddel assistiert. Kondompflicht, Dickensteuer: Man fragt sich: wissen eigentlich die Fraktionsvorsitzenden von SPD und CDU was ihre Fraktionsmitglieder so treiben?

Ach ja, Erwin Rüddel hatte in diesem Jahr schon einmal einen großen Artikel im Spiegel. Wenn auch nicht zum Thema Gesundheit, und wenn auch nicht in der Print-Ausgabe, aber immerhin über „Erwin Rüddel“ in der Online-Ausgabe: „Eigenlob stinkt“, heißt es. „Nicht für den CDU-Abgeordneten Erwin Rüddel aus Rheinland-Pfalz. Der zählt in einer Werbe-E-Mail gleich 162 Gründe auf, warum er derjenige ist, der gewählt werden sollte. Denn: „Ich wähle Erwin Rüddel, weil ich ihn mag.“

So leitet der Spiegel seinen Artikel über den CDU-Bundestagsabgeordneten ein, der unter dem Motto „Fremdschämen für Anfänger“ stehen könnte: „Erwin Rüddel sitzt seit vier Jahren für die CDU im Bundestag …Und damit die Bürger seines Wahlkreises Altenkirchen/Neuwied wissen, warum er der beste Kandidat ist, hat der Christdemokrat eine Massen-E-Mail mit dem Betreff ‚Ich wähle Erwin Rüddel, weil……………!’ verschickt. Eine Werbeaktion, wie sie im Wahlkampf üblich ist – wären da nicht die 162 Beispiele, die der Politiker gleich mitliefert: ‚… präsent, energisch, bodenständig, erfolgreich, engagiert, unermüdlich, vertraut, aktiv, sachverständig, präsent, kompetent, sympathisch, zuverlässig, ehrlich, sympathisch, konsequent, humorvoll, einfach klasse, menschlich, volksnah, sozial, der Bessere, bürgernah, ausgewiesener Fachmann, sachlich, kompetent, offen, gerade heraus, fair, tolerant, ohne Scheuklappen, fleißig, engagiert, zuverlässig, freundlich, ehrlich, zuvorkommend, menschlich, umgänglich und auch – Zitat: – ‚menschlich‘ schwer in Ordnung.’ So viel Selbstbeweihräucherung kommt nicht bei allen gut an. Parteifreunde Rüddels kritisierten dem Blatt zufolge dessen Eigenlob-Liste. Von ‚völliger Hybris’ sei die Rede, auch von ‚penetranter Selbstgerechtigkeit’.“ Welch treffende Kommentare.

Die Freude von Dr. Franke darüber, dass er mit seinem Sommerloch-Thema es sogar in die ZDF-Sonntagsshow von Peter Hahne schaffte, dürfte sich schnell als Bumerang herausstellen. Auf seiner Facebook-Seite türmen sich die E-mails entsetzter Anhänger. Hier eine kleine Auswahl:

„Guten Tag Herr Dr. Franke die Strafsteuer auf Lebensmittel, die mehr als 275 Kalorien haben, kann nicht Ihr Ernst sein! Darunter fallen auch viele gesunde Lebensmittel, wie z.B. Nüsse!“

„Sehr geehrter Herr Franke, mir fällt gerade ein Zitat ein. Diejenigen, die zu klug sind, um sich in der Politik zu engagieren, werden dadurch bestraft werden, dass sie von Leuten regiert werden, die dümmer sind als sie selbst.
Plato…“

„Steueraufschlag für Lebensmittel mit mehr als 275 Kalorien je 100 Gramm“..
Schon mal überlegt den Kopf zu lüften?“

„Herr Franke, Sie sind nicht dafür gewählt worden, die erwachsenen Bürger dieses Landes zu erziehen, sondern lediglich, um die Angelegenheiten der Bürger dieses Landes zu verwalten. Die Tellerinhalte mündiger Bürger geht Sie – mit Verlaub – einen Scheiß an.“

Erschreckend auch an diesem Beispiel: Zwei nach Aufmerksamkeit strebende Hinterbänkler des Bundestages schaffen es mit einer lancierten Meldung, eine absurde Forderung in seriöse Zeitungen und Fernsehanstalten zu bringen. Hier lässt es sich einmal belegen, aber wie viele Fälle wird es noch geben?