Professor Nöhles Essensalltag
Neulich beim Discounter. Ich schlenderte durch die Gänge und wusste eigentlich nicht, was ich kaufen sollte. Eine junge Dame räumte gerade ein paar Kartons Frischkäse ein… doch nicht etwa ins Kühlregal! Tatsächlich verstaute sie die Verpackungen in ein ganz normales Regal im Gang.
„Keine Ahnung von Lebensmitteln“ dachte ich mir zuerst und wollte die Frau gerade höflich aber bestimmt darauf hinweisen, dass Frischkäse doch bitteschön in die Kühlung gehöre… als mir eine innere Stimme ins Ohr flüsterte: „Schau auf das Etikett! Schau auf das Etikett!“ Ich folgte meinem Mann im Ohr, schaute aufs Etikett und erschrak! Da stand doch tatsächlich „Mindestens haltbar bis: xy…“. Basta! Kein Wort von „gekühlt aufbewahren“ oder gar einer Temperaturangabe wie z. B. „bei + 8 Grad mindestens haltbar bis xy…“ wie ich es von Frischeprodukten gewohnt war.
Ich begann zu grübeln.
Was ist eigentlich „frisch“? Frischmilch steht doch auch in der Kühlung, H-Milch aber nicht. Auch frische Sahne, Joghurt und Butter stehen kühl. Und ausgerechnet dieser Frischkäse nicht – der soll sich – sage und schreibe – zwei Monate (!) ohne Kühlung halten! Und dann auch noch schmecken? Frisch schmecken?
Ich ging erst einmal einen Gang weiter zum Nonfood-Regal und fingerte nervös am neuesten Akku-Schlagbohrer herum. Da meldete sich wieder diese Stimme aus dem „Off“ und belehrte mich: „Fortschritt macht auch vor Lebensmitteln nicht halt!“ Stimmt! Genauso, wie wir heute nicht mehr im Zeppelin über den Atlantik fliegen, sondern mit dem A 380, genauso entwickelt sich auch die Lebensmitteltechnologie weiter.
In unserem Frischkäse-Fall heißt das: Früher wurden Käse und Milcherzeugnisse im Kupfer- oder Holzbottich angerührt und offen abgefüllt mit der Folge, dass sie innerhalb weniger Tage verdarben. Milch in den altbekannten Glasflaschen mit dem gebördelten Aludeckel, die der Milchmann vormittags vor die Tür stellte, hielt sich maximal drei Tage, im Sommer bei hoher Luftfeuchtigkeit nur einen Tag. Eine Kühlkette vom landwirtschaftlichen Betrieb bis zum Endverbraucher war unbekannt, folglich musste man zwangsläufig zumindest verderbliche Produkte täglich einkaufen. Heute ist allein schon die natürliche Keimzahl in der Rohmilch aufgrund sauberer Kuhställe um den Faktor 10.000 niedriger als zu Omas Zeiten.
Die Milch wird heute bereits beim Bauern gekühlt, in der Molkerei effizient pasteurisiert und zu verschiedensten Milcherzeugnissen und Käsen unter sauberen Umfeldbedingungen in geschlossenen Systemen weiter verarbeitet. Die Endverpackung vieler Erzeugnisse erfolgt aseptisch. Die Tetra-Paks und Becher werden dazu mit einem Gemisch aus Peressigsäure und Wasserstoffperoxid ausgesprüht und so anhaftende Keime abgetötet. Der Abfüllvorgang erfolgt in einer geschlossenen Edelstahl-Maschinenanlage in Reinraumtechnik, so dass Keime aus der Raumluft von außen nicht hereintreten können. Noch innerhalb der geschlossenen Maschine wird der Becher mit einem Aludeckel keimdicht versiegelt. Das Ergebnis ist einleuchtend: Pasteurisierte Milch hält sich mit dieser Technik im versiegelten Tetra-Pak heute drei Wochen, wärmebehandelte Schlagsahne im Becher vier Wochen. Und Frischkäse tatsächlich zwei Monate… und zwar ohne Konservierungsstoffe! Technik macht’s möglich!
Und jetzt noch eben zum Begriff „frisch“ bei Käse. Der Käsereimeister unterscheidet zwischen gereiften und ungereiften bzw. wenig gereiften Käsen. Bei den klassischen gereiften Käsen wirkt neben dem Lab zum Dicklegen der Milch (hierbei werden die Eiweiße der Milch ausgefällt) eine zugesetzte Kultur von Mikroorganismen über mehrere Tage bzw. in der Packung über Wochen auf diese dick gelegte und danach gepresste Milch.
Besteht die Kultur aus bestimmten Edel-Schimmeln, so entsteht daraus Weichkäse wie z. B. der Camembert. Besteht die Kultur aus kohlendioxid-bildenden Bakterien und wirkt diese mehrere Monate ein, so entsteht ein „Löcherkäse“, also z. B. der Hartkäse namens Emmentaler. Und setzt man der dick gelegten Milch nur etwas säuernde Bakterien zu, die kein Kohlendioxid bilden und füllt diesen nach Erhitzung sofort frisch ab, dann heißt er eben Frischkäse. So entsteht Quark, Hüttenkäse, Mascarpone und – wenn aseptisch abgefüllt – mein Doppelrahmfrischkäse! Der hält sich (ungeöffnet!) doch tatsächlich zwei Monate. So kann’s gehen.
Ach ja, eines noch. Ich wartete, bis die nette Dame, die das Regal einräumte, weg war, und legte eine Packung dieses hochmerkwürdigen Frischkäses in meinen Warenkorb, um ihn einfach einmal zu probieren…