Professor Nöhles Essensalltag
Seit einigen Monaten schlagen die Wellen hoch. Männliche Eintagsküken werden geschreddert, weil sie keine Eier legen. Die Tatsache, dass männliche Hühner, auch Hähne genannt, keine Eier legen, ist eigentlich jedem klar – doch wo genau ist das Problem und wo vor allem ist die Lösung?
Früher, bei Oma, gab es die klassischen Hühnerrassen. Die weiblichen Tiere legten Eier, rund 140 bis 180 Stück pro Jahr, also gerade jeden zweiten Tag ein Ei. Auf rund 10 bis 15 Hühner setzte Oma einen Hahn. Der sorgte dafür, dass die Hühner dem jeweiligen Harem zugeordnet wurden und er hielt die Rangfolge, besser Hackordnung genannt, intakt. Hühner und Hähne lebten mehrere Jahre bis an Ostern, Pfingsten, Hochzeit, Geburt, Beerdigung oder Erntedank, dann wurden sie – Hahn und Huhn gleichermaßen – zum Festmahl geschlachtet. Fleischkonsum war bei Oma reiner Luxus.
Das ist heute anders. Wir leben in einer Wohlstandsgesellschaft, Fleischkonsum ist inzwischen tägliche Selbstverständlichkeit. Ob Rind-, Schweine- oder Hühnerfleisch – jeder kann sich heute täglich Fleisch leisten. Musste ein Arbeiter 1953 noch 2 Stunden und 12 Minuten arbeiten, um sich ein Huhn zu leisten, sind es heute gerade einmal noch 12 Minuten. Und das hat einen Grund. Das Geflügel wurde durch gezielte Zucht „hybridisiert“. Heute gibt es auf der einen Seite die so genannten reinen Fleischlinien. Das ist Geflügel, welches in kurzer Zeit viel Fleisch ansetzt. Diese Tiere werden in der Normalmast bereits nach 29 bis 35 Tagen geschlachtet, in der so genannten Langmast nach ca. 42 Tagen. Bei diesen Tieren handelt es sich um weibliche und männliche Tiere, beide auch Broiler (to broil = grillen, braten) genannt. Männliche Küken werden hier also nicht geschreddert, sondern aufgezogen. Das Produkt ist das, welches wir als Tiefkühlhähnchen oder in Teilen als Hühnerkeule, Hühnerbrust etc. kennen. Ein Standard-Maststall moderner Bauart beherbergt heute 40.000 Broiler. Der Ladenpreis für 1 kg ausgenommenen und tiefgekühlten Broiler liegt bei ca. 2,35 bis 3,20 EUR.
Auf der anderen Seite wurden so genannte Legelinien entwickelt, also Hühner, die auf eine hohe Legeleistung gezüchtet sind. Sie legen 280 bis 300 Eier pro Jahr, setzen aber kaum Fleisch an. Nach Ende der Haupt-Legezeit von ca. 60 bis 70 Wochen, wenn die Legeleistung nachlässt, werden sie geschlachtet und als Suppenhühner in den Verkehr gebracht. Aufgrund des vergleichsweise geringen Fleischansatzes sind sie für die vorstehend genannten Produkte wie „Brathähnchen“ oder „Hühnerbrust“ nicht geeignet.
Die männlichen Tiere dieser Legelinien, legen selbsterklärend keine Eier….doch sie setzen eben auch kein Fleisch an. Und genau hier liegt das Problem. Würde man Hähne von Legelinien aufziehen, würden sie mehr oder minder aus Haut und Knochen bestehen und beim Verzehr so zäh sein, dass niemand sie kaufen würde. Das ist der Grund, weshalb unmittelbar nach dem Schlupf die männlichen Küken aussortiert und sofort getötet werden – kein Verbraucher würde sie kaufen.
Doch die öffentliche Kritik wächst. Auf der einen Seite arbeiten die Genetiker und Züchter daher mit Hochdruck an neuen Methoden der „Früherkennung“ des Geschlechts, damit „männliche Eier“ schon vor dem Schlupf aussortiert werden können. Aber auch das ist immer noch eine Form von „wasted animal“.
Ein anderes Zuchtziel geht dahin, Legelinien so zu verändern, dass die weiblichen Tiere eine hohe Anzahl von Eiern legen, die männlichen Tiere aber doch ausreichend Fleisch ansetzen, so dass auch die Hähne gemästet werden können und verkäuflich wären. Also Huhn und Hahn mit zwei Nutzen: Eier und Fleisch: das Zweinutzungshuhn ! Bei Lichte betrachtet handelt es sich eigentlich um Oma’s Huhn – aber mit wesentlich höherer Eierlegeleistung und wesentlich höherem Fleischansatz.
Erste Zuchterfolge sind vielversprechend. Doch kein Vorteil ohne Nachteil. So ein Zweinutzungshuhn braucht mehr Futter für ein Ei oder für 1 kg Fleischansatz, es wächst und legt langsamer, soll heißen, die Produkte werden schlicht teurer.
So stellt sich wie immer die entscheidende Frage: Ist der Verbraucher tatsächlich bereit, der zuweilen berechtigten Kritik an der intensiven Nutztierhaltung mit dem Griff zu einem alternativen Produkt mit höherem Preis entgegenzuwirken oder ist es wie so oft nur die in der Fußgängerzone im Rahmen einer Umfrage in die Kamera gesprochene Entrüstung über die Intensivhaltung, der sich ein Einkauf beim Discounter anschließt?
Harter Tobak!