Professor Nöhles Essensalltag
Also, wenn Sie jetzt antworten „Na, 45 Prozent, steht da doch“, dann haben Sie dieses Mal ein persönliches Problem mit mir. So langsam müssten Sie ja wissen, dass ich Ihnen immer nur solche Fragen stelle, bei denen ich davon ausgehe, dass Sie diese vermutlich nicht beantworten können. Sonst wäre mein professoraler Lehrauftrag ja auch für die Katz.
Nun zum Käse. Entscheidend ist natürlich das Kürzel „i.Tr.“, das „in der Trockenmasse“ bedeutet. Der Fettgehalt bezieht sich also nicht auf das Produkt, so, wie es vor Ihnen liegt, sondern nur auf dessen Trockenmasse. Die Trockenmasse ist das, was übrig bleibt, wenn man dem Käse das Wasser entziehen würde. In der Fachsprache heißt das „Gesamterzeugnis abzüglich des Wassergehaltes“. Und wie hoch ist der Wassergehalt im Käse?
Der Käsemeister teilt die verschiedenen Käse zunächst einmal nach Käsegruppen ein: Frischkäse (z. B. Speisequark) – Weichkäse (z. B. Camembert) – Sauermilchkäse (z. B. Harzer Käse) – halbfester Schnittkäse (z. B. Butterkäse) – Schnittkäse (z. B. Tilsiter)– Hartkäse (z. B. Emmentaler). Diese Einteilung richtet sich nach dem „Wassergehalt in der fettfreien Käsemasse“ (Wff). Ist der Wassergehalt hoch, wie beim Frischkäse, ist das Produkt bekanntermaßen streichfähig; ein Weichkäse mit weniger Wasser ist schon etwas fester und ein Hartkäse, z. B. ein rindengereifter, 24 Monate alter Parmiggiano Reggano ist so hart, dass er mit dem Messer nicht mehr geschnitten werden kann, sondern mit einem Parmesanbrecher gebrochen oder mit einem Parmesanhobel gehobelt werden muss.
Käsegruppe | Wassergehalt in der fettfreien Käsemasse (Wff) |
Hartkäse | bis zu 56% |
Schnittkäse | 54 – 63% |
Halbfester Schnittkäse | 61 – 69% |
Sauermilchkäse | 60 – 73% |
Weichkäse | über 67% |
Frischkäse | über 73% |
Tabelle 1: Wassergehalt in der fettfreien Käsemasse (Wff) in den jeweiligen Käsegruppen
Soweit die Käsegruppen. Bei der Herstellung der Käsegruppen kann der Käsemeister verschiedene Mengen an Milchfett zugeben. Sie kennen z.B. einen Frischkäse der Magerstufe („Magerquark“) wie auch die gleiche Käsegruppe Frischkäse in der „Doppelrahmstufe“. Als Fettstufen unterscheidet der Käsemeister die folgenden, die Sie auch schon einmal alle gehört haben: Mager – Viertelfett – Halbfett – Dreiviertelfett – Fett – Vollfett – Rahm – Doppelrahm. Diese Stufen definieren sich aber nicht nach dem absoluten Fettgehalt im Enderzeugnis „Käse“, sondern nach dem Fettgehalt in der Trockenmasse.
Fettstufen | Fettgehalt in der Trockenmasse (i. Tr.) |
Magerstufe | 10% |
Viertelfettstufe | 10% |
Halbfettstufe | 20% |
Dreiviertelfettstufe | 30% |
Fettstufe | 40% |
Vollfettstufe | 45% |
Rahmstufe | 50% |
Doppelrahmstufe | 60 – 87% |
Tabelle 2: Fettgehalt in den jeweiligen Fettstufen
Die Begründung für die Einteilung nach „Fett in der Trockenmasse“ ist ganz einfach und historisch bedingt: So ein Käse, nehmen wir einmal einen „Gouda“ (das ist ein Schnittkäse mit 54-63 Prozent Wff, siehe Tabelle 1) in der Dreiviertelfettstufe (also mit 30 Prozent Fett in der Trockenmasse, siehe Tabelle 2) verliert im Laufe der Lagerung ständig Feuchtigkeit, also Wasser. Er wird mit der Zeit immer härter. Ein „Junger Gouda“, nur 2 Wochen gereift, ist eher plastisch und schmeckt recht flach; ein „Alter Gouda“ mit 12 Monaten Reifezeit dagegen ist fest und schmeckt sehr würzig. Doch der Verlust von Feuchtigkeit bedeutet auch, dass der Fettgehalt – rein rechnerisch – mit zunehmender Lagerdauer ständig ansteigt. Was soll der Hersteller nun deklarieren, den Fettgehalt zu Anfang, direkt nach der Herstellung, den nach einigen Wochen erreichten oder den am Ende des Mindesthaltbarkeitsdatums? Praktische Antwort: es wird der deklariert, der unabhängig vom Feuchtigkeitsgehalt vorhanden ist, eben der Fettgehalt in der Trockenmasse (Fett i.Tr.).
Und jetzt möchten Sie endlich wissen, wie viel Fett absolut ein bestimmter Käse hat. Da gibt es folgende drei Möglichkeiten. Sie bewerben sich als Auszubildender für den Beruf der Molkereifachkraft, Sie gehen in die oben genannten Tabellen und rechnen per Dreisatz aus dem Wff und dem Fett i.Tr. für jede Käsegruppe und für jede Fettgehaltsstufe den absoluten Wert für Fett aus oder Sie vertrauen der nachfolgenden, neudeutschen „cross reference list“, in der genau diese Angaben näherungsweise stehen:
Tabelle 3: Fettgehalt absolut
Nun wird es noch einmal interessant. Gehen Sie die Tabelle einmal ganz strukturiert und konzentriert durch. Jetzt werden Sie feststellen, dass ein Frischkäse der Doppelrahmstufe (= 60 Prozent Fett i.Tr.) genauso viel Fett absolut enthält wie ein Schnittkäse in der Dreiviertelfettstufe (30 Prozent Fett i.Tr.), nämlich 18 Prozent.
Oh my God, das haben Sie jetzt nicht gewusst.
Aber den Grund dafür kennen Sie jetzt: weil die Trockenmasse des Gouda eben doppelt so hoch ist wie die des Doppelrahmfrischkäses! Sie dürfen also nicht den Wert für „Fett i.Tr.“ des Käses der einen Käsegruppe mit dem Wert eines Käses einer anderen Käsegruppe zur Beurteilung des absoluten Fettgehaltes heranziehen.
Und jetzt noch ein paar Fragen, die Sie schon immer stellen wollten:
Frage 1: Warum steht der „Fettgehalt absolut“ nicht auf der Packung, wenn das Ganze so unendlich kompliziert ist?
Antwort 1:
a) Weil das Käsehandwerk historisch über Jahrhunderte gewachsen ist und die Einteilung der Käse technologisch so sinnvoll ist und sich der Fettgehalt wie oben erklärt bei Naturkäsen mit zunehmender Lagerzeit verändert.
b) Viele Hersteller geben inzwischen den absoluten Fettgehalt als zusätzliche freiwillige Angabe auf der Verpackung an; ab 2016 ist sie aufgrund der neuen Lebensmittelinformations-Verordnung (LMIV) verpflichtend. Die Tabelle zeigt u. a. an, wie viel Fett das Lebensmittel bezogen auf 100 g /100 ml enthält. So einfach ist das!
c) Auf Produkten mit Nährwertkennzeichnung, also z.B. bei dem besagten Frischkäse (der nicht gereift ist und sich auch nicht mehr verändert), steht der Fettgehalt schon jetzt in der Nährwerttabelle.
Frage 2: Gibt es nicht doch eine Daumenregel, um den Fettgehalt absolut im Supermarkt am Regal ab zu schätzen?
Antwort 2: Na klar, multiplizieren Sie den Wert für „Fett i.Tr.“ mit folgendem Faktor, um auf den absoluten Fettgehalt zu kommen:
Frischkäse x 0,3
Weichkäse x 0,5
Schnittkäse x 0,6
Hartkäse x 0,7
Aber Achtung, Sie haben gelernt: alles nur Näherungswerte.
Frage 3: War bei Oma alles besser?
Antwort 3: Ich verrate Ihnen noch ein historisches Geheimnis. Früher, bei Oma, als angeblich alles besser war, war Fett ein absolutes Luxusgut; die Leute haben nämlich schlicht gehungert. Eine Suppe mit richtig dicken Fettaugen darauf war etwas besonders Gutes (wenn man sich die Fettaugen denn leisten konnte) und ein Käse mit viel Fett war eher selten. Die Käsereimeister fanden es daher sehr gut, wenn sie „Fett i.Tr.“ deklarieren konnten, weil der Fettgehalt dann höher erschien als er tatsächlich ist.
Heute ist es eher umgekehrt, wir haben von allem zu viel und interessieren uns jetzt für einen möglichst niedrigen Fettgehalt.
Frage 4: Hatte Ihr Mathelehrer eventuell recht, wenn er immer diesen dummen Spruch sagte: non scholae sed vitae discimus?
Antwort 4: Ja.