Professor Nöhles Essensalltag
Es begab sich zu der Zeit, als eine Europawahl anstand, so ungefähr kurz vor dem 25. Mai des Jahres 2014. Alle Parteien suchten nach Aufmerksamkeit, doch es war irgendwie nichts los; keine Tsunamis, keine explodierenden Kernkraftwerke, keine Oder-Überschwemmungen und auch keine Lebensmittelskandale.
Das war schlecht.
So zog die Partei Bündnis 90/Die Grünen aus, um ein paar Lebensmittelproben zu ziehen, und zwar ganz gezielt Rohwurstproben und andere rohe Lebensmittel. So kam es, dass in 13 Städten insgesamt 63 Proben gezogen wurden. Darunter auch in zwei Bäckereien allerlei Hackepeter-Brötchen, die bekanntlich von den Bäckerei-Mitarbeitern vor Ort aus rohem Hackfleisch und Zwiebeln selbst zubereitet werden und in der Regel oberhalb von 7 Grad C zum Verkauf vorrätig gehalten werden.
Selbige Proben wurden dann nach 5 Tagen (!) bei einer Probeneingangstemperatur von 18 Grad C (!) von einem akkreditierten Labor analysiert. Prompt erblickten allerlei Keime das Licht der Analytik.
Das war unprofessionell.
Ich frage mich, wozu haben wir eigentlich 2.500 Lebensmittelkontrolleure, dutzende von Amtlichen Laboratorien in den Bundesländern, die jährlich insgesamt 450.000 amtliche Proben analysieren sowie hochkompetente Bundesoberbehörden wie das BVL (Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit) und das BfR (Bundesinstitut für Risikobewertung), deren Aufgabe es u. a. ist, die Lebensmittelsicherheit zu monitoren und zu bewerten und ggf. durch veränderte, vorzubereitende gesetzgebende Rahmenbedingungen zu lenken?
Das war unnötig.
Warum hat die Partei Bündnis 90/Die Grünen nicht einfach die zum Thema zahlreich vorhandenen – wissenschaftlichen – Stellungnahmen z. B. des BfR in Augenschein genommen und zitiert? Seit wann nehmen Parteien Lebensmittelproben und publizieren öffentlichkeitswirksam aufgrund einer nicht-repräsentativen Probenahme einen vermeintlichen Status der Lebensmittelsicherheit in Deutschland? Mit der gleichen Mentalität könnte eine Partei auch auf Baustellen nach Schwarzarbeitern suchen (das macht normalerweise der Zoll) oder könnte auch LKW auf Autobahnrastplätzen auf Überladung prüfen (das macht normalerweise das BAG, Bundesamt für Güterkraftverkehr). Grund war offensichtlich der verzweifelte Versuch, irgendwie die Medien zu instrumentalisieren und eben die notwendige Aufmerksamkeit des Wählers für irgendetwas zu generieren.
Das war peinlich.
So, jetzt noch eben zur Sache. Auf besagten Proben wurden u. a. so genannte „ESBL-Keime“ gefunden (Extended Spectrum ß-Lactamasen). Das sind Keime, die durch eine Mutation ein ursprünglich nicht vorhandenes Enzym bilden, die ß-Lactamase. Dieses Enzym hydrolysiert den „ß-Lactam-Ring“ von „Lactam-Antibiotika“, die Keime sind dadurch resistent gegen bestimmte Antibiotika. Eine der diskutierten Ursachen ist die dauerhafte Anwendung dieser Antibiotika in der industriellen Nutztierhaltung, die offensichtlich durch die gesamte Nahrungskette und bei rohen Fleischerzeugnissen durch vermehrtes Auftreten von ESBL-Keimen durchschlägt. Das ist definitiv unerwünscht und dem muss durch veränderte Rahmenbedingungen begegnet werden wie z. B. den seit 2011 erfolgreich vom Deutschen Bauernverband und vom Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft eingeführten Selbstverpflichtungsmaßnahmen zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes.
Veränderte Haltungsformen der Nutztierhaltung, verbindliche Leitlinien für die Anwendung von Antibiotika in der Tiermast einschließlich der Trennung von therapeutischer Anwendung und Verkauf der Antibiotika durch den Hoftierarzt sind dringend zu hinterfragen und ggf. anzupassen, aber doch bitte strukturiert und systematisch unter Hinzuziehung unserer weltweit anerkannten wissenschaftlichen Kompetenzen und nicht durch Trommelwirbel vor einer Wahl.
Das ist nötig.
Schönen Tag noch.