Professor Nöhles Essensalltag
Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) ist das Datum, bis zu dem ein Lebensmittel seine arteigenen Eigenschaften unter den auf der Verpackung angegebenen Bedingungen mindestens erhält.
Aber wer bestimmt das eigentlich – und wie wird es bestimmt – und stimmt das aufgedruckte Datum auch wirklich?
Das MHD bestimmt der Hersteller, dessen Name auf der Packung steht. Das ist nämlich der „Inverkehrbringer“ und der ist folglich für sein Produkt verantwortlich. Im Rahmen von aufwändigen Lagerversuchen werden in kurzen Abständen folgende Parameter durch sensorisch geschulte Personen bewertet – und zwar unter den Bedingungen, die auf der Verpackung angegeben sind, also z.B. „tiefgefroren“ (- 18 Grad Celsius), „gekühlt“ (+2 bis +8 Grad Celsius bei Milcherzeugnissen, jedoch +7 Grad Celsius bei Fleischerzeugnissen) sowie für alle nicht kühlpflichtigen Erzeugnisse bei +20 Grad Celsius:
- Aussehen Äußeres
- Aussehen Inneres
- Geruch
- Geschmack
- Konsistenz
begleitet von Analysen zu
- Mikrobiologische Daten (z.B. Keimzahlen bestimmter Mikroorganismen)
- Chemische Daten (z.B. Kennzahlen für das Ranzigwerden von Fetten)
- Physikalische Daten (z.B. Stabilität von Emulsionen).
Lebensmittel verändern sich bekanntlich mit der Zeit in Abhängigkeit von der Umgebungstemperatur und Luftfeuchtigkeit bis hin zur Lichteinwirkung.
Im Rahmen dieser sensorischen und analytischen Bewertungen stellt der Hersteller fest, ab welchem Zeitpunkt Fehler wie z.B. „ranzig“, „käsig“, „molkig“, „muffig“ oder auch physikalische Veränderungen wie „Ausflockungen“, „Brechen einer Emulsion“ oder „Farbveränderungen“ usw. auftreten. Das so fest gestellte „absolute Enddatum“ der sensorischen Akzeptanz ist aber nicht etwa dann das MHD, welches auf die Packung gedruckt wird, sondern der Hersteller zieht von diesem Enddatum rund 20% wieder ab, denn das MHD ist ja eben kein Verfallsdatum, sondern das Datum, bis zu dem sich das Lebensmittel eben mindestens hält. Es hält sich also länger!
Und das hat einen ziemlich schlagenden Grund.
Die Juristen haben dafür den wunderschönen Begriff „vorherzusehender Fehlgebrauch“ erschaffen. Denn wer sagt eigentlich, dass während der gesamten „Lebenszeit“ eines Lebensmittels die Aufbewahrungsbedingungen, die auf der Packung in Verbindung mit dem MHD angegeben sind, auch tatsächlich eingehalten werden? Antwort: niemand !
Gehen wir eben mal mit Lieschen Müller einkaufen.
Sie kauft 1x Fischstäbchen bei -18 Grad Celsius, 1 x Bockwürstchen bei + 7 Grad Celsius und eine Tafel Vollmilch-Nuss Schokolade.
Sie ahnen es schon – die Sache geht schief.
Lieschen Müller packt alles in den Einkaufswagen (den TK-Fisch in eine mitgebrachte Isoliertüte, na logo, hat sie immer dabei, hab’ ich selber gesehen) und erreicht so nebst anderen Einkäufen nach genau 22 Minuten die Kasse. Im Supermarkt ist es 20 Grad warm, sehr angenehm. Heute ist ein schöner Sommertag. Dann geht es zum Auto auf dem Parkplatz. Im Auto sind es schon locker 33 Grad, dann fährt sie noch eben hier hin und da hin. Nach 1 ½ Stunden ist Lieschen Müller zuhause und packt die Fischstäbchen in die Tiefkühltruhe und die Würstchen in den Kühlschrank und die Schokolade in den Küchenschrank. Fertig.
Und der Kühlschrank hat noch gleich welche Temperatur? Aha, noch nie gemessen – womit denn auch, mit dem Fieberthermometer geht es ja bekanntlich nicht. Sollte der mehr als +7 Grad Celsius aufweisen, wird kein Fleischerzeugnis bei Lieschen Müller je das MHD erreichen.
Die Würstchen sind in einem fortschrittlichen „Multipack“ verpackt, also 2 x 4 Würstchen separat. Sehr verbraucherfreundlich, äh, in Wirklichkeit heißt das „convenient“. Da holt Lieschen am nächsten Tag die Packung aus dem Kühlschrank, bereitet sich die Mahlzeit zu, reißt die eine Hälfte der Würstchenpackung auf und legt die andere verschlossene Hälfte dann „irgendwann“ wieder zurück in den Kühlschrank. Irgendwann?
So, wie oft war die Kühlkette jetzt unterbrochen? Aha. So, jetzt wissen Sie, warum die Hersteller die maximal mögliche Haltbarkeit immer etwas verkürzen – damit der Verbraucher nicht am letzten Tag des MHD womöglich mit selbstverschuldetem Schrecken feststellt, dass das Lebensmittel „nicht mehr gut ist“ und prompt dem Hersteller die Schuld gibt, denn es handelt sich ja um eine Mindesthaltbarkeit.
Das gilt nicht nur für kühlpflichtige Lebensmittel. Auch unsere „Vollmilch-Nuss“ verändert sich schnell bei unsachgemäßer Lagerung. Die Haselnüsse und auch das Milchfett werden nach ca. sechs bis neun Monaten leicht ranzig. Wurde die Schokolade auch nur ein einziges Mal für eine Sekunde über 34 Grad gelagert, kristallisiert die Kakaobutter um, es entsteht ein so genannter Fettreif auf der Schokolade, den viele Verbraucher fälschlicherweise dann auch noch als Schimmel deuten. Ergebnis so oder so: der enttäuschte Kunde.
Wie lange ein Lebensmittel tatsächlich über das MHD hinaus seine arteigenen Eigenschaften erhält, hängt von dessen Zusammensetzung und Lagerung ab. Im Zweifelsfalle gilt also: Hingucken, Hinriechen, Hinschmecken und bitte immer die Kühlkette einhalten.
Ach ja, noch eines: Das MHD gilt nur für die ungeöffnete Packung – nach Öffnen ist der Verbraucher für die Verzehrsfähigkeit des Lebensmittels verantwortlich, nicht mehr der Hersteller.
Und weil das Leben so schön ist – es gibt ein Lebensmittel, das braucht per Gesetz überhaupt gar kein MHD, weil es sich 1000 Jahre ohne Kühlung hält, da es sich eben absolut nicht verändert: Zucker! (ausgerechnet der nun wieder)