Professor Nöhles Essensalltag
„Es ist nötig zu bewahren“ sagten schon die alten Römer, und die Menschheit wäre nicht dahin gekommen, wo sie heute ist, wenn wir nicht gelernt hätten, unsere Lebensmittel „zu bewahren“, gemeint ist, „zu konservieren“.
„Pling“ macht es in Ihrem Kopf – also sind überall Konservierungsmittel enthalten?
Mitnichten – genau das Gegenteil – konservieren können wir auf vielfältige Weise:
- Durch Trocknen von Lebensmitteln entziehen wir den Lebensmitteln Wasser und damit auch den Mikroorganismen die Lebensgrundlage. Das Lebensmittel hält sich. Die Indianer in Nordamerika nähten sich mehrere Stücke getrockneten Bären- oder weiter südlich Büffelfleisches in den Saum Ihres Lederrocks – und hatten im Ernstfalle immer etwas zu essen. Dass das Fleisch mit der Zeit etwas ranzig wurde (oxidativer Fettverderb würden wir heute sagen), hat sie nicht gestört. Besser mit einem Stück ranzigen Fleisches satt werden als hungrig mit einem Pfeil im Rücken zu sterben.
- Durch Salzen passiert das gleiche, dem Lebensmittel wird Wasser
entzogen und das Salz lässt die Zellen der Mikroorganismen aufgrund des hohen osmotischen Druckes platzen. Die Norweger legten Fischfilets auf die Klippen der Schären, so dass die salzige Brandung auf den Fisch spritzte. „Klippfisch“ nennt sich diese norwegische Delikatesse – gibt es auch heute noch. Dass dieser Fisch mittelschwer nach Fisch „stinkt“ und der Salzgehalt so derartig hoch ist, dass man den Fisch vor Verzehr wieder wässern muss, störte sie wenig – der Fisch hält sich so glatt ein Jahr lang. Besser einen stinkenden, salzigen Fisch als salzlos auf der einsamen Schäre verhungern.
- Viele Restaurants in Deutschland mit klassischer Küche heißen „Rauchfang“. Ein Rauchfang ist die Hutze über dem offenen Feuer der Küche, in der der Rauch gefangen und über den Schornstein abgeleitet wird. In diese Hutze hängte die Magd früher die frischen Würste und den Schinken, die so „ganz nebenbei“ durch die Kochstelle mit dem offenen Feuer geräuchert wurden. Durch den warmen Rauch trockneten die Fleischwaren erstens aus (siehe Nr.1) und wurden zweitens durch die Rauchinhaltsstoffe tatsächlich „chemisch“ konserviert. Die Würste halten so mehrere Monate lang. Dass nach dem heutigen Kenntnisstand der Rauch des Mittelalters aufgrund der nach damaligem technischen Stand unvollständigen Verbrennung jede Menge Benz(a)pyren enthielt, störte die Ritter mangels Fachwissens wenig. Besser ein schönes Stück geräucherten Schinkens als hungrig aufs Stroh. Heute erzeugen wir den Rauch durch kontrolliertes Verschwelen von Buchenholz – und der Benz(a)pyren-Gehalt wird erstens gemessen und ist zweitens streng reglementiert.
- Milchsäurevergärung von Weißkohl ergibt Sauerkraut, die gleichen Mikroorganismen in Milch ergeben Dickmilch, ein Sauermilcherzeugnis. Dass der bekanntlich saure Essig Gurken konserviert, wussten Sie schon. Mehr zu diesem Thema lesen Sie bitte hier.
- Rohmilch
mit der zuweilen krankmachenden Stallflora wird bei 72 Grad Celsius für 30 Sekunden pasteurisiert und macht danach nicht mehr krank, weil die vegetativen pathogenen Mikroorganismen abgetötet sind.
- Soll sich die Milch ein paar Wochen länger halten, so wird sie bei 121 Grad Celsius für einige Sekunden ultrahocherhitzt (= UHT, ultra high temperature) oder auch uperisiert. So sterben alle vegetativen Keime und die Milch hält sich sechs Wochen – mindestens. Die eine oder andere Spore (die Überdauerungsform von einigen Mikroorganismen) kann aber noch vorhanden sein.
- Möchten Sie die Milch oder eine Suppe tropentauglich machen, so müssen Sie das Gemelk bzw. die Suppe z. B. in einer Glasflasche oder in einer Dose bei 135 Grad Celsius bei 3 bar Überdruck für 15 Minuten sterilisieren – so sterben nicht nur die vegetativen Keime, sondern auch die Sporen.
- Sollten Sie an der ersten Mars-Mission teilnehmen wollen und 100%ig auf ihre mitgebrachten Lebensmittel angewiesen sein, so wird das freundliche Bodenpersonal ihre Lebensmittel tyndallisieren. In Form eines „sägezahnförmigen“ Temperaturprogramms ansteigend von 30 Grad Celsius bis zu den besagten 135 Grad Celsius werden mögliche vorhandene Sporen zum Auskeimen gebracht und die dann aus den Sporen entstandenen vegetativen Keime durch die hohe Temperatur abgetötet. Jetzt ist Ihr Lebensmittel echt steril. Spätestens wenn Sie Ihren ersten Durchfall in der Schwerelosigkeit erlebt haben, werden Sie Ihrem Schöpfer auf Knien danken, dass es dieses Verfahren gibt.
- Auch wenn vom deutschen Verbraucher wenig geliebt, bestimmte Lebensmittel dürfen auch durch Bestrahlung entkeimt werden. Bei Trinkwasser kann man das mit UV-Licht durchführen, denn die „kurzen Wellen“ hoher Energiedichte mögen die Mikroorgansimen gar nicht. Gewürze dürfen auch mit Gamma-Strahlen entkeimt werden, und zwar bis zu einer Energiedosis (what?) von 10 kGy (sprich: kilo-Gray, entsprechend 10.000 Joule pro kg). Das ist dann aber in der Zutatenliste durch den Hinweis „bestrahlt“ in Verbindung mit dem Gewürz kenntlich zu machen. Noch Fragen dazu? Fragen Sie die Frau Bundeskanzlerin, Dr.rer.nat. Merkel, die hat Physik studiert, die kann Ihnen das ziemlich locker rückwärts und auch bei Nieselregen runterbeten.
- Kühlen bei +2 bis +8 Grad Celsius und Gefrieren bei
– 18 Grad Celsius vermindert die Reproduktionsrate von Mikroorgansimen, d. h., das Lebensmittel hält sich länger. Aber Achtung ! Durch Kühlen und Gefrieren werden die Mikroorganismen nicht abgetötet. Eine Salmonelle unter Kühlung oder auf einem tiefgefrorenen Hähnchen ist nach Auftauen immer noch eine Salmonelle und erfreut sich eines neuen Lebens bei kuscheliger Küchentemperatur. Deshalb bitte Auftauprodukte in der Küche streng separat handeln, sonst kontaminieren Sie sich Ihre ganze Küche möglicherweise mit „aufgetauten Salmonellen“ aus der natürlichen Hähnchenflora!
- Ja, und wann kommt nun endlich die „nackte Chemie“ der Konservierung? Jetzt.
Schimmelpilze auf Obst kann man am Wachstum hindern, indem die Obstschale direkt oder die umhüllende Verpackung mit Orthophenylphenol, Thiabendazol und anderen Fungiziden behandelt wird. Auch das ist mit den Namen der verwendeten Chemikalien am Lebensmittel kenntlich zu machen und zu ergänzen mit dem Hinwies „Schale nicht zum Verzehr geeignet“. Hier handelt es sich also um eine chemische Konservierung. Achtung, die genannten Stoffe wirken nur gegen Schimmelpilze. - Und jetzt kommen die berühmten chemischen Konservierungsstoffe Sorbinsäure und Benzoesäure. Diese beiden zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffe verhindern bei saurem pH-Wert das Wachstum von etlichen Bakterien – aber kaum das Wachstum von Hefen und Schimmelpilzen! Man findet diese Konservierungsstoffe vereinzelt noch in essigsauren Feinkostsalaten und in citronensauren Fruchtaufstrichen, landläufig auch „light-Marmelade“ genannt. Hier stoppen sie die Bakterien, die die Lebensmittel sonst verderben würden.
- Eine besonders wichtige Rolle der chemischen Konservierung spielt das Natriumnitrit als Pökelhilfsstoff in Kochpökelwaren, also in gekochtem Schinken und in Brühwürsten. Das Nitrit verhindert dort das Auskeimen der Sporen von Lebensmittelverderbern. Welche Sporen genau? Achtung, jetzt wird es richtig ernst. Es sind die Sporen von chlostridium botulinum, einem anaeroben Sporenbildner. Das ist ein Keim, der unter Luftabschluss (!) wächst, also z. B. im Inneren einer Wurst. Dort bildet er eines der stärksten Gifte auf unserem Erdball: das Botulinustoxin. Einmal in eine nicht-gepökelte gekochte Wurst gebissen und das Ende ist nah.
- Und was machen wir jetzt mit den Hefen? Weder Orthophenylphenol noch Sorbinsäure geschweige denn Nitrit helfen gegen die sehr widerstandsfähigen Hefen. Sie vergären Kohlenhydrate zu Alkohol und zuweilen zu Kohlendioxid und insbesondere die „osmotoleranten“ (die viel Zucker vertragenden) Hefen lassen bei unhygienischer Arbeitsweise z. B. verhefte Limoflaschen platzen. Hier helfen bei Getränken eine peinliche saubere Arbeitsweise und bei Brotteiglingen in der Kunststoffverpackung der Ihnen schon bekannte Trick mit dem Sauerstoffentzug durch Beaufschlagung mit einer Schutzatmosphäre aus Kohlendioxid. Wird auch kenntlich gemacht mit den Hinweis „unter Schutzatmosphäre verpackt“. Lesen Sie bitte hier mehr zu diesem Thema.
So, geschafft, mit diesem geballten Wissen können Sie jetzt schon mal in der Versuchsküche der Abteilung „Angewandte Produktentwicklung“ eines Lebensmittelbetriebes anfangen – und zwar als Cleaner.
Denn das Wichtigste folgt zuletzt: Hygiene erreiche ich nicht nur durch mannigfaltiges Konservieren, sondern zunächst und zuallererst einmal durch sauberes Arbeiten.
Betrifft übrigens auch die häusliche Küche.