Professor Nöhles Essensalltag
Das Weihnachtsmärchen, dass nicht verkaufte Weihnachtsmänner zu Osterhasen umgeschmolzen werden, wollen wir heute noch einmal prozesstechnisch abarbeiten. Denn das Gerücht geht nicht aus der Welt und kommt inzwischen wie „dinner for one“ regelmäßig zum Jahresende immer wieder hoch.
Schokolade wird natürlich nicht umgeschmolzen, und das hat genau drei Gründe.
1. Die Sache mit der Haltbarkeit.
Weihnachtsmänner bestehen üblicherweise aus Vollmilchschokolade, darin ist, wie der Name schon sagt, Milchfett enthalten. Genau so, wie sich Ihre Butter nicht unbegrenzt hält, gilt das auch für Milchschokolade. Das Mindesthaltbarkeitsdatum (MHD) liegt in der Regel bei einem Jahr, danach bekommt die Milchschokolade langsam aber sicher einen molkigen und später einen leicht ranzigen Geschmack. Die Produktion der figürlichen Schokoladewaren (damit Sie noch einmal einen Fachbegriff mitnehmen, mit dem Sie beim Weihnachtsessen Ihre Mitbewerber am Tisch schwer beeindrucken können), die für die Weihnachtszeit bestimmt sind, werden ab Ende August produziert und landen ab Mitte Oktober im Regal des Supermarktes. Im Januar wäre der Weihnachtsmann also ein halbes Jahr alt. Würde man ihn jetzt theoretisch umschmelzen – und damit das Milchfett ja einer thermischen Behandlung unterwerfen – würde das Milchfett noch schneller ranzig werden und der daraus hergestellte Osterhase würde nie und nimmer „sein“ MHD von ebenfalls einem Jahr erreichen. Verbraucherbeschwerden wegen ranziger Osterhasen? Auslistung im Handel!
2. Die Sache mit der Logistik
Was müsste man denn theoretisch machen, um Weihnachtsmänner umzuschmelzen?
Zunächst müsste „jemand“ die Weihnachtsmänner einmal aus den Regalen der Supermärkte nehmen, zwischenlagern, und jedem einzelnen Lieferanten getrennt zur Verfügung stellen. Das kostet Zeit und Platz. Dann müssten die Lieferanten die Ware abholen und bei sich getrennt lagern. Kostet Zeit und Platz. Und jetzt kommt der schwierigste Vorgang. Jetzt müssten alle Weihnachtsmänner ausgepackt werden. Wie viel hundert Leute wollen Sie denn dafür abstellen? Und wehe, es landet ein einziges Stückchen Stanniol in der Schokolade! Dann kassieren Sie den nächsten Rückruf, aber dann einen „echten“! Die ganze Geschichte würde bis Ende Februar dauern, bevor man mit dem Umschmelzen theoretisch beginnen könnte.
Stopp! Ostern kann ja schon ab Mitte März sein. Die Produktion der Osterhasen beginnt spätestens Anfang Januar und Mitte Februar liegen die Hasen schon im Regal. Klappt also schon aus rein logistischen Gründen nicht.
3. Die Sache mit den Kosten
Das Ganze würde nicht etwa Geld einsparen, sondern eher Mehrkosten generieren, denn es kämen ja nicht 95Prozent der Weihnachtsmänner zurück, sondern bei sorgfältiger Planung geschätzt vielleicht 5 bis 10 Prozent. Und für diesen geringen Rücklauf einen derartigen Aufwand betreiben, und sich dann noch einem hausgemachten Fremdkörperrisiko aussetzen, und dann auch noch sensorisch zweitklassige Schokolade produzieren?
Apropos möglicher Rücklauf. Es gibt da in den Vertriebsabteilungen der Nahrungsmittelhersteller eine Abteilung, die heißt Absatzplanung. Die macht nichts anderes, als anhand von Datenaufbereitung des Absatzes von früheren Geschäftsjahren, in Verbindung mit den aktuellen Listungen im Handel und unterstützt durch ihre jeweiligen Werbemaßnahmen und gerechnet gegen die Aktivitäten der Mitbewerber, den Absatz der Weihnachtsmänner punktgenau im Voraus zu planen. Die sorgen schon dafür, dass da nicht Millionen von Weihnachtsmännern übrig bleiben – kostet alles nur Geld.
So, und was machen wir nun mit den drei Weihnachtsmännern, die es trotz aller Kompetenz der Absatzplaner und Marketingmanager doch nicht bis unter den Weihnachtsbaum schaffen?
Darüber freuen sich gemeinnützige Organisation wie z. B. die TAFELN und damit wiederum Hilfsbedürftige, die sich ansonsten die Schokoladenweihnachtsmänner nicht leisten könnten. Einen weiteren Teil essen wir zudem einfach im Januar mit einem gehörigen Preisnachlass auf!