Professor Nöhles Essensalltag
Jedes Jahr veröffentlicht das Bundesamt für Statistik in Wiesbaden die statistischen Daten über unser Leben, ganz frisch das Statistische Jahrbuch 2014.
Schockierend, was dort auf 693 Seiten alles so steht.
Im Jahre 1871 – also im Gründungsjahr des Deutschen Reiches – hatten die damals geborenen Mädchen eine durchschnittliche Lebenserwartung von 39 Jahren und Jungen von 38 Jahren. Ja, Sie lesen richtig und es ist kein Tippfehler: vor gerade einmal 140 Jahren lebten wir im statistischen Durchschnitt nur halb so lange wie heute (zum Vergleich der Geburtsjahrgang 2011: Mädchen 83 Jahre, Jungen 78 Jahre).
©Statistisches Jahrbuch 2014
Einer der wesentlichen Gründe der damaligen kurzen Lebenserwartung waren die zahlreichen Infektionskrankheiten. Die haben wir heute schon fast vergessen, weil der medizinische Fortschritt uns inzwischen eine Bekämpfung ermöglicht hat: Tuberkulose (damals Schwindsucht genannt) stand an erster Stelle, jeder fünfte war infiziert. Diphtherie, Masern, Röteln, Hepatitis, Tetanus, Kinderlähmung, Meningitis – alles damals tödliche Krankheiten, gegen die wir uns heute „einfach“ impfen lassen. Durch Lebensmittel und insbesondere über Trinkwasser übertragbare Krankheiten wie Typhus und Cholera waren an der Tagesordnung und mangels Fachwissen mehr oder minder unvermeidbar. Unter- und Fehlernährung trugen zusätzlich zu Krankheiten bei.
Doch mit der industriellen Revolution Mitte des 19. Jahrhunderts kam langsam der wissenschaftliche Fortschritt und im Jahre 1871 ein gewisser Reichskanzler namens von Bismarck. Dieser als politisch treibende Kraft in Kombination mit vielen Naturwissenschaftlern, Ingenieuren und noch mehr preußischen Beamten, revolutionierten nicht nur Medizin und Technik, sondern auch die Lebensmittelwissenschaften und daraus abgeleitete Rechtsvorschriften zum Verbraucherschutz.
Hier die wichtigsten damals erlassenen Gesetze:
1879: Erstes Nahrungsmittel-Gesetz
1880: Reichsviehseuchen-Gesetz
1887: Blei-Zink-Gesetz
1887: Farben-Gesetz
1887: Margarine-Gesetz
1892: Wein-Gesetz
1898: Süßstoff-Gesetz
1900: Reichsfleischbeschau-Gesetz
1923: Absinth-Gesetz
1926: Milch-Gesetz
Die Städte wurden mit einem Abwasserkanalnetz durchzogen. Trinkwasser wurde nicht mehr aus selbstgebohrten und ständig mit Fäkalkeimen kontaminierten Oberflächenbrunnen gewonnen, sondern aus staatlich angelegten Tiefbrunnen aus 300 Metern Tiefe gefördert und über Wassertürme durch Druck in die Haushalte in geschlossenen Wasserleitungen transportiert. Ein unglaublicher hygienischer Fortschritt – allein in dieser Zeit zwischen 1900 und 1925 stieg die Lebenserwartung sprunghaft um 20 Jahre!
In der gesamten Menschheitsgeschichte bis heute hat es keinen größeren „Wohlstandssprung durch umfassende Lebensmittelsicherheit“ gegeben.
Zur heutigen hohen Lebenserwartung tragen zusätzlich die ausreichende Verfügbarkeit der Lebensmittel und die Möglichkeit der ausgewogenen Ernährung bezüglich der ausreichenden Aufnahme von essentiellen Aminosäuren, essentiellen Fettsäuren sowie Vitaminen, Spurenelementen und Mineralstoffen bei. Hinzu kommen natürlich der bedeutende medizinische Fortschritt und so profan erscheinende Lebensumstände wie „ein warmes Dach über dem Kopf“ und warm haltende Kleidung. Die ersten Hochrechnungen für die Zukunft prognostizieren, dass die im Jahre 2050 Geborenen 100 Jahre alt werden – und das ist in „nur“ 35 Jahren. Und im gleichen Jahr 2050 wird jeder zweite in Deutschland über 60 alt sein!
Trotz der gefühlten Lebensmittelskandale, der angeblichen Kennzeichnungsmängel bei Lebensmitteln und so mancher Hysterie bezüglich Pflanzenschutzmittelrückständen im Nanogrammbereich – so schlecht ist unsere Ernährung und unsere Lebensweise also nicht. Im Gegenteil, mit dem Adlerauge des Statistikers über 200 Jahre betrachtet und extrapoliert – sie ist inzwischen so derartig gut, dass wir in den nächsten Dekaden ganz offensichtlich schneller älter werden als unser Sozialsystem „uns selbst“ verkraften kann. Stellen Sie sich einmal vor, jeder zweite, den Sie auf der Straße sehen, ist über 60!
Was ich damit sagen wollte: Sie werden einer von denen sein!
Vielleicht mal kurz darüber nachdenken?