Professor Nöhles Essensalltag
Seit einigen Jahren geistert ein neuer Begriff durch die Printmedien: „Superfood“. Insbesondere in US-amerikanischen paperbacks werden diesen Lebensmitteln geradezu abenteuerliche Eigenschaften zugeschrieben. Sie würden Krebs vorbeugen und bestehenden Krebs wieder beseitigen und man könne mit ihnen abnehmen, ohne Sport zu betreiben. Sie werden beschrieben als „machtvolle Heiler“, sie würden entzündungshemmend und entgiftend wirken, gegen Alzheimer helfen, die Spermienqualität verbessern und am Ende noch für schönere Haut sorgen.
Na, Sie merken schon, das sind genau die Forderungen oder Eigenschaften, gegen die die Schulmedizin noch keine Medikamente hervor gebracht hat – die „Superfoods“ sollen es richten.
Sorry, dass ich Sie schon wieder enttäuschen muss. Lebensmittel sind keine Medizin, sondern dienen der Ernährung und dem Genuss, aber nicht der Heilung von Krankheiten.
Alle Lebensmittel, auch die „Superfoods“, bestehen aus den Makronährstoffen Fett, Eiweiß, Kohlenhydrate und den Mikronährstoffen Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente – und diese Inhaltsstoffe stehen natürlich in einem ganz spezifischen, für die jeweilige Pflanze arteigenen Verhältnis zueinander.
Es gibt weder eine rechtliche noch eine naturwissenschaftliche Definition für „Superfoods“ – doch es gibt diese tatsächlich.
Sehen wir uns einmal genauer an, was im Internet, in Restaurants und in Reformhäusern so alles gehandelt wird und was einige (Marketing-)Experten unter „Superfoods“ verstehen.
So besuchte ich neulich in Rostock ein neues „Veganes Restaurant“ und fand auf der Speisenkarte unter ‚Desserts’ das Produkt Chiapudding. Also her damit.
Chia (salvia hispanica) gehört zu der Gattung der Salbei (salvia) und wird in Mittelamerika kultiviert. Die Samen enthalten im Vergleich zu anderen Lebensmitteln erhöhte Mengen an omega-3-Fettsäuren, quellen in Wasser auf und ergeben eine leicht schleimige, eher geschmacksneutrale Masse. Die Maya aßen dieses Produkt, weil es in ihrem Lebensraum wuchs und wurde von dem Maya als „Heilpflanze“ beschrieben.
Moringa (moringa oleifera) sind die pulverisierten Blätter des so genannten Merrettichbaumes aus der Familie der Bennusgewächse, der in Kenia und Indien wächst. Die Blätter enthalten neben ihrem arteigenen Mix an Mineralstoffen und Vitaminen, ohne Besonderheiten eine erhöhte Menge an Senfölglykosiden, wie sie im Meerrettich vorkommen – daher auch der Name und der typische Geschmack dieses Pulvers, welches auch die Verwendung in der Küche determiniert. Das Produkt wird als „Mineralstoffkick“ beschrieben.
Maca (Lepidium meyenii) ist eine Knollenpflanze der Gattung der Kressen (Lepidien), wächst in Peru in Höhen über 3000 Metern und enthält im Vergleich zu anderen Pflanzen einen erhöhten Anteil an essentiellen Aminosäuren. Ihr werden „potenzsteigernde Wirkungen zugeschrieben“.
Goji-Beeren oder auch Gemeiner Bocksdorn (Lycium barbarum) gehört wie die Tomate und Kartoffel zur Familie der Nachtschattengewächsen (Solanaceae) und der Gattung Bocksdorne (Lycium), wächst zwischen Osteuropa und China und werden in der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) wegen ihres „antioxidativen Potenzials“ zur „Unterstützung des Immunsystems“ verwendet.
Camu-Camu (Myrciaria dubia) gehört zur Gattung der Myrthengewächse (Myrciaria), wächst in Südamerika und enthält im Vergleich zu anderen Pflanzen einen erhöhten Anteil an Vitamin C und Eisen und wird wegen dieser Inhaltsstoffe als vorteilhaft ausgelobt.
Baobab ist der Afrikanische Affenbrotbaum (Adansonia digitata) der Gattung der Affenbrotbäume (Adansonia). Das getrocknete Fruchtfleisch der Samen enthält vergleichsweise viel Vitamin B, C und Kalzium. Es soll gegen Reizdarm helfen wie auch gegen Malaria.
Diese Liste lässt sich fortsetzen mit Acai-Beeren, Matcha-Tee, Quinoa usw. Alle diese Produkte klingen für uns irgendwie „exotisch“ und wir verfügen in der mitteleuropäischen Küche über keine Anwendungserfahrungen damit.
Andere Autoren loben auch Produkte aus heimischer Produktion und in Mitteleuropa bekannter Importprodukte als „Superfood“ aus:
Gerstengras (hordeum vulgare) aus der Gattung der Gerste (hordeum), ist nichts anderes als die getrockneten Blätter des jungen Gerstenhalmes und enthält im Vergleich zu anderen Pflanzen einen relativ erhöhten Gehalt an Vitamin B und C sowie Kalzium, Kalium und Eisen und soll aufgrund seines erhöhten Gehaltes an Antioxidantien Krebs vorbeugen.
Und auch hier lässt sich der nicht-wissenschaftlichen Literatur eine lange Liste von Produkten entnehmen, die aufgrund ihres charakteristischen Profils der Inhaltsstoffe gesundheitsfördernde Wirkungen haben sollen: Aroniabeeren, Datteln, Hanfsamen, Kakao, Kokosöl, Maulbeeren und Sprossen.
Die Produkte werden meist in getrockneter Form im Internet gehandelt und von den Kunden für die Herstellung von Drinks (insbesondere den Smoothies) verwendet oder Salaten beigemischt. Beim Vergleich des Nährwertprofiles mit dem bei uns heimischer Pflanzen (z.B. Karotten, Blattsalaten u.a.) ist stets darauf zu achten, dass nicht frische Früchte oder Gemüse mit getrockneten Pulvern der oben genannten „Superfoods“ verglichen werden, denn in getrockneten Produkten liegt der Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen aufgrund des Wasserentzugs im Vergleich zu frischen natürlich um den Faktor 7 bis 10 höher. Es gibt bisher keine wissenschaftlichen Studien, die mit statistischer Signifikanz belegen, dass diese Produkte gesundheitlich belegbare Wirkungen zeigen.
„Superfoods“ sind ganz einfache, am jeweiligen (für uns exotischen) Ursprungsort seit Jahrhunderten verwendete Lebensmittel mit einem spezifischen Nährwertprofil, welches sich von unseren heimischen Produkten marginal unterscheidet, aber deswegen in unserer gut ernährten Gesellschaft weder einen gesundheitlichen (Zusatz)Nutzen besitzen noch den teils exorbitanten Preis/kg rechtfertigen können.
However, genauso, wie ein sportliches neues Auto oder ein paar hübsche Schuhe dem Menschen „gut tun“, so könnte das auch für „Superfoods“ gelten. Marketing kann auch einfach nur schön sein.