Professor Nöhles Essensalltag
Die Internationale Grüne Woche zeigt es erneut: uns geht es ziemlich gut.
Zehntausende Produkte aus der ganzen Welt, sei es als unveränderter Agrarrohstoff, sei es als veredeltes Lebensmittel in einer hoch technisierten Verpackung, die eine lange Haltbarkeit garantiert, liegen auf unserem Tisch. Ob tiefgefroren, aus der Kühlung oder temperaturstabil – alles kann man bei uns kaufen. Und das Ganze erhält uns gesund und kein Lebensmittel macht uns (mehr) krank wie noch vor 100 Jahren. Und das Alles ist nicht etwa teuer, sondern auch noch erschwinglich.
Wie kann das angehen, obwohl sich die Weltbevölkerung in den vergangenen rund 100 Jahren von 1 Milliarde im Jahre 1910 auf heute rund 7,3 Milliarden vermehrt hat?
Es ist die Wissenschaft bzw. der wissenschaftliche Fortschritt, der uns „ernährt“.
Wir behandeln die Böden mit Düngemitteln, wir züchten das Saatgut mit ganz bestimmten Eigenschaften, wir schützen das Saatgut, damit es im Boden nicht verschimmelt, wir behandeln die Pflanzen, damit sie nicht krank werden, wir fahren mit „riesigen“ GPS-gesteuerten Erntemaschinen über die Felder und lagern das Erntegut wiederum so, dass es nicht verdirbt. Ähnlich mit den Nutztieren. Wir züchten Nutztiere mit besonderen Eigenschaften, wir halten die Tiere (gesund) in großen Einheiten und wir erschlachten das Fleisch als Lebensmittel unter hygienischen Bedingungen. Am Ende transportieren wir die Produkte mit ebenfalls „riesigen“ Containerschiffen, Zügen und LKW just in time rund um die Welt. Und es geht uns gut.
Für das Jahr 2050 – also in nur 35 Jahren von heute, die wir fast alle noch erleben werden – ist eine Weltbevölkerung von 10 Milliarden voraus berechnet.
Was essen wir dann?
Der Fortschritt wird nicht stehen bleiben, denn niemand will verhungern.
Wir werden salztolerante Pflanzen entwickeln, die auch in Salzwasser wachsen („Halophyten“). Wir werden Pflanzen so verändern, dass sie „entlang des Klimawandels“ auch an sehr trockenen Standorten gedeihen („Xerophyten“). Wir werden Lebensmittel aus pflanzlichen Einzellern entwickeln, die in großen Fermentern wachsen und nicht unbedingt einen Acker oder ein Meer benötigen. Wir werden extrudierte Insekten(-zubereitungen) verzehren, die mit einem geringen Nährstoffangebot sehr schnell wachsen. Sie waren alle schon einmal auf dem night market in Thailand, Philippines oder Malaysia? Bei der Extrusion wird die Rohstoffmischung unter Zusatz von 10 % Wasser zu einer homogenen Masse geformt und dann bei 120 °C unter Dampfdruck gegart, um jegliches Risiko für bakterielle Verunreinigungen auszuschließen.
Wir werden tierische einzelne Zellen auf Nährböden wachsen lassen und differenzieren und dann zu tierischen Lebensmitteln zusammenfügen, für die es keines Stalles bedarf.
Wir werden Trinkwasser aus dem Meer beziehen und immer mehr Rohstoff-/Wirtschafts-/Prozesskreisläufe entwickeln anstatt Primäressourcen zu verbrauchen.
Sie glauben das Ganze nicht?
Dann gehen Sie einfach einmal virtuell auf die „Internationale Grüne Woche von 1950“.
Tiefgefrorene Lebensmittel? Gekühlte Lebensmittel nebst Kühlschrank zuhause? H-Milch? Fruchtjoghurt im Becher? Schokoriegel? Frittierte Kartoffelstäbchen (zuweilen auch Pommes frites genannt)? Fehlanzeige. Das gab es ganz einfach nicht, weil das Produkt, die Herstelltechnologie oder auch die dafür geeignete Aufbewahrungsmöglichkeit noch nicht erfunden waren. Genau so wie es die 32.000 anderen Artikel, die Sie heute in einem gut sortieren Supermarkt (dem „Vollsortimenter“) finden, damals nicht gab.
Auch die Ernährungsgewohnheiten waren anders. 1950 wurde aus Primärzutaten Zuhause mittags und oft auch noch abends gekocht. Auswärts essen im Restaurant?
Fast Food-Kette an der Autobahn? Pizzabäcker? Italiener an der Ecke? Ein belegtes Brötchen am Bahnhof? Fehlanzeige. Nichts von dem gab es.
Heute ist kaum noch jemand zuhause, der kocht, sondern allenfalls jemand, der Hunger hat und sich so etwas Seltsames wie ein „Fertiggericht“ in ein physikalisches Wunderwerk namens „Mikrowelle“ schiebt und nach sieben Minuten genüsslich verspeist.
Also, merken Sie sich bitte in Ihrem Outlook die dritte Januarwoche im Jahre 2050 vor.
Wir sehen uns bei einer Weltbevölkerung von 10 Milliarden auf der Internationalen Grünen Woche und verkosten ein Einzellerschnitzel aus dem „ovenpack“. Letzteres ist eine handgroße Verpackung, die sich auf Knopfdruck selbst erwärmt und ihr Einzellerschnitzel gleich mit, welches Sie dann „on the move“ verzehren – das Ganze aber im wasserstoffangetriebenen Kraftfahrzeug, welches der „Galileo-Koordinator“ lenkt und nicht Sie, denn Sie essen ja gerade.