Professor Nöhles Essensalltag
Kühe fressen Gras, frisch oder getrocknet (dann Heu genannt) und leben ganz gut davon. Hochleistungskühe bekommen noch leistungsfähigeres Futter wie z.B. Maissilage. Die Kühe werden bekanntlich ziemlich groß und stark und geben dann auch noch 10.000 Liter Milch pro Jahr – alles nur durch Gras und Silage. Warum also isst der Mensch nicht einfach Gras?
I’m so sorry, aber jetzt muss wieder die Biochemie her – denn: was ist eigentlich Gras?
Alle Pflanzen auf unserem Planeten bestehen aus Kohlenhydraten, und zwar überwiegend aus aneinandergereihten kleinen Kohlenhydratringen in Form von Glukose. Ja, Sie lesen richtig, es handelt sich um lange Ketten des Ihnen gut bekannten Traubenzuckers. Aber dann wäre ja Gras (oder auch jede anderen Pflanze) für uns Menschen verdaulich? Jetzt kommt’s: Entscheidend ist, in welcher Form die einzelnen Glukose-Moleküle miteinander verbunden sind. Da gibt es im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, die sogenannte „alpha-glycosidische Verbindung“ und die „beta-glycosidische Verbindung“. Und das sind – ganz einfach – zwei verschiedene räumliche Varianten der Verbindung. Sind die Zuckermoleküle „alpha“-verbunden, so handelt es sich um Stärke, bestens bekannt aus Kartoffeln, Weizen, Roggen, Mais, Erbsen, Linsen usw.
Sind exakt die gleichen Moleküle aber „beta“-verbunden, so handelt es sich um Zellulose, ebenso bekannt als Pflanzenfasern.
Spätestens jetzt müsste es Ihnen dämmern, denn da war doch was im Biologieunterricht. Diese langkettigen Kohlenhydrate werden durch unsere körpereigenen Enzyme verdaut und so wieder in die einzelnen Glukosemoleküle abgebaut, die dann weiter zwecks Energiegewinnung verstoffwechselt werden. Die menschlichen Enzyme können aber nur (!) die alpha-Verbindungen knacken. Deswegen können wir stärkehaltige Lebensmittel wie das Innere der Kartoffel verdauen.
Die Pflanzenfasern = Zellulose = beta-glycosidisch verbundenen Glukosemoleküle, also z.B. die Kartoffelschale, die Apfelschale oder auch die Getreidespelze können unsere körpereigenen Enzyme aber nicht knacken, sie bleiben beim Verdauungsvorgang zwangsläufig „übrig“ und werden nahezu unverändert wieder ausgeschieden. Sie haben aber trotzdem eine wichtige Funktion für uns, denn diese unverdaulichen Kohlenhydrate lockern den Nahrungsbrei etwas auf und machen den ganzen Rest der Nahrung, zu dem ja auch noch die Fette und Eiweiße gehören, rein physikalisch etwas leichter verdaulich. Und einzig aus diesem Grunde nennen wir diese unverdaulichen Kohlenhydrate auch Ballaststoffe. Und deshalb sollte Ihre Nahrung auch immer einen Anteil ballaststoffreicher Nahrungsmittel, also Pflanzenteile (!) wie z.B. Obst und Gemüse enthalten – Sie werden sich einfach besser fühlen.
So, das war jetzt das ganze Geheimnis um die Ballaststoffe.
And what about the cow?
Die Kuh ist da etwas flexibler, sie hat nicht nur einen Magen mit etwas Magensäure wie der Mensch, sie hat genau vier Mägen: den Pansen, den Netzmagen, den Blättermagen und den Labmagen. Der Pansen ist eigentlich nichts anderes als eine große Gärkammer, in der mehr als 200 verschiedene Mikroorganismen in einer Konzentration von mehreren Milliarden Organismen pro Milliliter Pansensaft angesiedelt sind. Und diese Mikroorganismen können eben das, was der Mensch nicht kann: beta-glycosidische Verbindungen der Zellulose enzymatisch knacken. Das ist tatsächlich der einzige Grund, warum die Kuh von Gras leben kann, der Mensch aber nicht. Der Mensch holt sich die Glukose aus der Stärke, die Kuh die identische Glukose aus der Zellulose. Fertig. Man könnte auch sagen, die Kuh ernährt sich fast nur von Ballaststoffen.
So, jetzt wissen Sie endlich, was den Menschen von einem Rindvieh unterscheidet: Es sind die Enzyme!