Im dritten Teil unserer neuen Filmreihe „EAT IT“ erklärt Herr Professor Nöhle alles rund um das Thema „Marmelade“.
https://www.youtube.com/watch?v=6BoPUsxl0HQ
Nachfolgend können Sie sich weitere Filme unserer Reihe anschauen:
Teil 1: Abnehmen – mit Diät oder Köpfchen?
Teil 2: Braune, weiße, grüne Eier – wie geht das denn?
Teil 4: Vegetarische und vegane Wurst – geht das eigentlich?
Teil 5: Pasteurisiert, ultrahocherhitzt, ESL – wie lange ist unsere Milch haltbar?
Teil 7: Ein Roggenbrötchen mit Weizenmehl – darf das sein?
Teil 8: Frische Lebensmittel ohne Kühlung – geht das?
Teil 9: Was ist eigentlich genau in unseren Wasserflaschen drin?
Teil 10: Enthält Bitterschokolade tatsächlich weniger Zucker?
Den Artikel zum obigen Video können Sie im Folgenden gerne in Professor Nöhles Essensalltag nachlesen.
Professor Nöhles Essensalltag
Der Sonntag ist der härteste Tag im Leben, denn es ist immer wieder neu zu entscheiden: Ausschlafen oder Brunchen. Letzten Sonntag war wieder Brunchen angesagt, also der Tag, an dem die kreativ-dynamischen unter uns zeigen, was sie können und wie man sich richtig gesund ernährt. Nach einer Woche großindustriellen Kantinenessens kommen jetzt endlich Saftpresse, Schrotmühle und Brotbackautomat zur vollen Geltung und zeigen, dass „selbstgemacht“ eben doch alles besser ist.
„Hier, probier’ mal, selbst gemachte Marmelade mit fast ohne Zucker“.
So nahm das Drama seinen Lauf.
Ja, da war es wieder, das Unwort der Ernährung: Zucker. Ich drängelte mich erst einmal durch den Debattierclub in der Küche und fand auch schnell das corpus delicti: „Gelierzucker 3+1“. Wie war das noch mit dem Einmachen bei Oma? Oma nahm einen Teil Zucker und einen Teil Früchte, rührte um und kochte das ganze im Wasserbad ein. Fertig war die Marmelade – und die hielt sich im Keller drei Jahre lang, wenn das Glas dicht blieb und keine Luft zog. Doch dieser moderne Gelierzucker 3+1 zauberte das ganze mit drei Teilen Früchten und nur einem Teil Zucker zu einem Hochgenuss – viel Frucht, wenig Zucker. Der Fortschritt war geboren.
„Sorry, das kann ich nicht essen, da ist ja Konservierungsstoff drin“ warf ich als Advocatus diaboli in die Menge. Die Blicke versteinerten. Die eben noch stolze Produzentin der Marmelade alterte schlagartig um mindestens 10 Jahre als ich sie auf das Etikett des Gelierzuckers und die dort abgedruckte Zutatenliste hinwies: „Konservierungsstoff Kaliumsorbat“ stand dort groß und deutlich zu lesen! Die nunmehr auf mich gerichteten Blicke der community versetzten mich in einen alternativlosen Rechtfertigunsgnotstand und so begann ich zu erklären:
Also, Oma nahm immer Zucker und Früchte im Verhältnis 1:1, weil der Zuckergehalt von rund 50 Prozent (die Kohlenhydrate aus den Früchten kommen noch hinzu, so dass sich ein Gesamt-Kohlenhydratgehalt von ca. 60 Prozent ergibt) verhindert, dass die Marmelade verschimmelt. Der so genannte „osmotische Druck“ durch den hohen Anteil der in Wasser gelösten Bestandteile (also der Kohlenhydrate) führt dazu, dass den Mikroorganismen, insbesondere den Schimmelpilzen, das lebensnotwendige Wasser aus den Zellen entzogen wird. Sie können sich nicht mehr vermehren und sterben ab. Deswegen hielt sich Omas‘ Marmelade auch mindestens drei Jahre. Selbst ein geöffnetes Glas Marmelade hält sich bei Raumtemperatur wochenlang, wenn nicht Flüssigkeit durch unsauberes Handling von außen zugeführt wird oder Kondenswasser an der Oberfläche entsteht. Vermindere ich aber den Zuckergehalt wie im vorliegenden Falle beim Verhältnis „3+1“, so reicht eben dieser – verminderte – osmotische Druck durch den verminderten Zuckergehalt nicht mehr aus und Schimmelpilze können wachsen.
Die technische Lösung dieses Problems: Zusatz von Konservierungsstoffen, hier Kaliumsorbat. So wird das Wachstum der Schimmelpilze verhindert und gleichzeitig ein geringerer Zuckergehalt bzw. umgekehrt ein höherer Fruchtgehalt möglich. Aber Vorsicht, dieses zuckerarme, konservierte Produkt gehört in den Kühlschrank und ist zum alsbaldigen Verzehr gedacht. Es hält sich auch im Kühlschrank nicht drei Jahre, sondern allenfalls ein paar Tage, denn der Konservierungsstoff ist kein Allheilmittel gegen alle Mikroorganismen. Der hohe Fruchtgehalt dieses Brotaufstriches wird also nur möglich durch den Zusatz von – selbstverständlich gesundheitlich unbedenklichen und zugelassenen – Zusatzstoffen.
Das so hergestellte Produkt darf sich auch nicht „Konfitüre“ oder „Marmelade“ nennen. Diese Begriffsbestimmungen sind Erzeugnissen gemäß der Konfitürenverordnung vorbehalten, die einen dort fest gelegten Mindestgehalt an Zucker enthalten und folglich mikrobiologisch stabil sind. Unsere selbstgemachte „Brunch-Marmelade“ darf allenfalls „Fruchtaufstrich“ heißen.
Nach diesem Vortrag teilte sich die community sofort in zwei Lager: in die Gegner von Zucker und in die Gegner von Konservierungsstoffen. Beide waren bewaffnet mit einem ofenfrischen Baguette, bestrichen mit Butter und entweder wenig Marmelade mit viel Zucker oder viel Fruchtaufstrich mit wenig Zucker. Ein kleiner Dreisatz zeigte mir sofort, dass die Fruchtaufstrich-Fans mindestens die dreifache Menge auf das Brot versus der Marmeladen-Klassiker gelöffelt hatten – mithin der tatsächliche Zuckergehalt pro Verzehrseinheit ungefähr gleich war. Doch ich entschied, den Sonntagsbrunch nicht auch noch mit Dreisatz zu spoilen und fragte einfach: „Na, schmeckt’s?“