In der ersten Folge der zweiten Staffel unserer Filmreihe „EAT IT“ geht es um das Thema Zucker. Professor Nöhle gibt einen umfassenden Einblick über die verschiedenen technologischen Eigenschaften von Zucker und zeigt auf, dass Zucker in der Nährwerttabelle auf den Lebensmittelprodukten genau ausgewiesen ist.
https://www.youtube.com/watch?v=pu1xdl2gLD4
Sämtliche Folgen beider Staffeln können Sie sich hier ansehen.
Den Artikel zum obigen Video können Sie gerne nachfolgend in Professor Nöhles Essensalltag nachlesen.
Professor Nöhles Essensalltag
Alle Lebensmittel auf unserem Planeten bestehen aus Fetten, Eiweißen und Kohlenhydraten als Makronährstoffe auf der einen Seite und Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen als Mikronährstoffe auf der anderen Seite. Daneben gibt es noch Wasser und Luft. Das war’s, mehr gibt es nicht.
Alle Zutaten in einem zusammengesetzten Lebensmittel sind bekanntlich in der Zutatenliste einzeln in absteigender Reihenfolge zu deklarieren. Wenn ich nicht ein ganz besonders fettreiches Lebensmittel wie z.B. ein Pflanzenöl für den Salat oder ein besonders eiweißreiches Lebensmittel wie z.B. einen „Sportler-Energy-Drink“ mit viel Molkenpulver vor mir habe, dann stehen oft an erster Stelle der Zutatenliste – natürlicherweise – die Kohlenhydrate und darunter der Zucker.
Zucker? Ach du Schreck – will ich Zucker an der ersten Stelle der Zutatenliste sehen?
Kann man den Zucker in der Zutatenliste nicht „verstecken“, indem man verschiedene „Zucker“ verwendet, die dann einzeln zu deklarieren sind und folglich an unterschiedlichen Stellen – also weiter hinten – der Zutatenliste auftauchen und so den wahren (Gesamt)Zuckergehalt verschleiern? Das ist zumindest der Vorwurf der NGO’s, dass die Industrie das genau so machen würde, um den Verbraucher gnadenlos in die Irre und zum ungezügelten Zuckerkonsum zu (ver)führen.
Doch jetzt mal langsam. Was sind denn eigentlich „Zucker“, wofür werden sie verwendet und wie werden sie deklariert?
Die Kohlenhydrate lassen sich in die großen komplexen Moleküle wie z.B. Stärke und Ballaststoffe und in die kleinen Moleküle der Zucker unterteilen. Zu den „Zuckern“ gehören die Monosaccharide (also Zucker aus einem Molekül) wie z.B. die Glukose aus der Traube und die Fruktose aus dem Honig sowie die Disacchardie aus zwei Molekülen, wie die Saccharose aus der Rübe oder dem Zuckerrohr oder auch der Milchzucker aus der Milch bis hin zum Malzzucker aus dem (Gersten)Malz zur Bierherstellung. Doch damit nicht genug. Da gibt es noch die Zucker‘alkohole‘ wie Sorbit und Xylit. Die haben aber nichts mit Schnaps zu tun, sondern sind „reduzierte“ Monosaccharide mit einem etwas geringeren Brennwert. Alle diese Zucker haben unterschiedliche physikalische und funktionale Eigenschaften.
Saccharose aus der Rübe oder dem Zuckerrohr ist z.B. ein besonders hartes Kristall, es lässt sich z.B. zur Schokoladenherstellung besonders gut mit Kakaobutter „versalben“ – das ergibt dann den schönen zarten Schmelz einer hochwertigen Schokolade. Würden Sie das Ganze ausschließlich mit Glukose versuchen, um eine „Traubenzuckerschokolade“ herzustellen, funktioniert das nicht, denn die Glukosemoleküle haben eine eher amorphe, pulverartige Struktur und das Ganze mit Kakaobutter verrieben ergäbe eine eher weiche, fast schmierige Masse. Und eben gerade nicht das, was Sie sich unter einer Schokolade vorstellen. Ähnliches gilt für Speiseeis und für ganz bestimmte, harte Bonbons.
Soll ein Lebensmittel durch Erhitzung gebräunt werden, dann nehmen Sie gerade nicht Saccharose, sondern besser Glukose, denn das ist ein sogenannter „reduzierender“ Zucker, der sich unter Backofentemperatur zusammen mit den Eiweißen des Lebensmittels zu neuen bräunlichen Molekülen verbindet und zudem zu diesem köstlichen Braten- oder Backaroma führt. Die Naturwissenschaftler unter Ihnen kennen das als „Maillard-Reaktion“. Die Nicht-Naturwissenschaftler kennen das von Oma: Die nahm den Entenbraten zehn Minuten vor dem Ende kurz aus dem Ofen, strich mit dem Pinsel etwas Honig über den Braten und schob ihn nochmal für zehn Minuten hinein. What happened? Honig besteht überwiegend aus Glukose und Fruktose.Die reduzierenden Zucker zusammen mit dem Eiweiß aus der Ente ergeben jetzt die schöne braune Farbe und den noch besseren Duft. Deshalb enthalten viele zusammengesetzte Lebensmittel, die zum späteren Erhitzen gedacht sind, neben der Saccharose auch noch Glukose.
Jeder Zucker hat ganz bestimmte technologische Eigenschaften, was Sie an den weiteren Beispielen sehr gut erkennen können:
- Lebkuchen oder auch „Honigkuchen“: Durch die zugesetzten Monosaccharide bzw. durch den Honig wird der Teig beim Backen durch die oben genannte Maillard-Reaktion schön braun und schmeckt auch „dunkel“ – je nach Menge an reduzierenden Zuckern, Backtemperatur und Zeit.
- Gummibärchen sollen natürlich nicht knirschen, sondern flexibel-weich sein und bleiben. Hier hilft flüssiger Glukosesirup gemeinsam mit anderen Zutaten, die gewünschte Konsistenz zu erzielen.
- Auch für sirupartige Getränkezubereitungen lässt sich Glukosesirup aus der Stärkeverzuckerung gut verwenden.
Das gilt auch für Ketchup und andere Würzsoßen: erst die richtige Mischung aus Glukosesirup und anderen wässrigen Zutaten ergeben die notwendige dickflüssige Konsistenz, damit der Ketchup auch auf den Pommes hängen bleibt und nicht wie Wasser von den frittierten Kartoffeln abperlt. - Apropos „Klebrigkeit“: Warum hält ein Müsliriegel zusammen und zerfällt nicht in seine Einzelteile? Auch das liegt an den flüssigen Stärkeverzuckerungsprodukten wie Glukosesirup, die dem Produkt die richtige Form geben.
- Und was machte Oma noch gleich mit dem Essig zum Einlegen der Gurken? Richtig, sie gab etwas Zucker zum Essig. Der nahm dem Essig die „Spitze“. Denn reiner Essig schmeckt „spitz“ – das sollten Sie bei Ihrem nächsten Cooking Event einfach einmal probieren.
- Wenn der Produktentwickler die Kohlenhydrate als körpergebende Zutat braucht, aber nicht möchte, dass das Produkt zu süss schmeckt, dann nimmt er statt Saccharose besser Laktose, also den Milchzucker – mit gleichem Brennwert, aber mit geringerer Süsskraft.
- Marzipanrohmasse besteht aus Mandeln/Zucker im Verhältnis 1:1. Diese Massse nochmals mit der gleichen Menge Zucker „angewirkt“ ergibt Marzipan. Und Sie kennen es alle: Marzipan trocknet sehr schnell aus und schmeckt dann „alt“, obwohl es gar nicht alt ist, sondern gerade erst vorgestern hergestellt wurde (denken Sie an die Marzipantorte!). Was tun? Man setzt dem Marzipan den oben genannten Sorbit zu, der ist hygroskopisch (also wasseranziehend) und verhindert, dass das Marzipan austrocknet. Ganz einfach. Natürlich ist dieser Sorbit in der Zutatenliste als Zutat anzugeben. Aber doch nicht, um irgendwelchen Zucker (hier Saccharose) kompensativ zu verstecken, sondern weil es eine erwünschte Zutat mit einer ganz bestimmten technologischen Eigenschaft ist.
- Sie kennen „Kühlbonbons“? Dort ist z.B. Xylit enthalten, ein Zuckeralkohol, der beim Schmelzen der Umgebung Energie entzieht und einen kühlen Eindruck in Ihrem Mund hinterlässt. „Endotherme Lösungswärme“ heißt das auf Hochdeutsch.
Also merke: Jeder Zucker hat ganz bestimmte technologische Eigenschaften, die dem Lebensmittel seine charakteristischen Merkmale verleihen. Alle einzelnen Zucker stehen selbstverständlich – je nach zugesetzter Menge – an der richtigen Stelle der Zutatenliste.
Punkt.
Und wie steht’s jetzt mit der ehrlichen Deklaration? Wie kann ich erkennen, wie viel Zucker nun wirklich im Lebensmittel enthalten ist? Ganz einfach, das steht unter den Nährwertangaben. Dort lesen Sie neben Brennwert, Fett, Eiweiß usw.:
Kohlenhydrate xy g/100g
– davon Zucker xy g/100g
Unter dem dort verwendeten Begriff „Zucker“ sind dann alle Mono- und Disaccharide summarisch zusammengefasst. Also keine Irreführung durch geschickt in der Rezeptur verteilte einzelne Zuckerarten.
Sie haben also drei Möglichkeiten, Ihr Leben als Verbraucher zu gestalten:
a) Sie sind Oma und leben von der überlieferten Erfahrung
b) Sie studieren Lebensmittelchemie
c) Sie lesen das Etikett