Im siebten Teil der neuen Staffel unserer EAT IT-Filmreihe erklärt Professor Nöhle den Unterschied zwischen hypertonisch, hypotonisch und isotonisch.
https://www.youtube.com/watch?v=WAQ2O9VdBao
Den Artikel zum obigen Video können Sie gerne nachfolgend in Professor Nöhles Essensalltag nachlesen.
Teil 1 der neuen Staffel: Nährwerttabelle – Zucker versteck‘ Dich?
Teil 2 der neuen Staffel: Das Loch in der Ananas
Teil 3 der neuen Staffel: Mein Haus, mein Auto, mein Gluten …
Teil 4 der neuen Staffel: Geheime Mystik um den Barcode
Teil 5 der neuen Staffel: Was macht unsere Lebensmittel eigentlich so lange haltbar?
Teil 6 der neuen Staffel: Im Land der tausend Biere
Sämtliche Folgen der ersten Staffel können Sie sich hier ansehen.
Professor Nöhles Essensalltag
Wenn es draußen so richtig heiß ist, muss man viel trinken – das sagen alle. Doch was soll man trinken? Schon scheiden sich die Geister. Die einen trinken gerne mal ein Erfrischungsgetränk, die anderen behaupten, davon würde man noch mehr Durst bekommen. Aber stimmt das?
Der Flüssigkeitshaushalt des menschlichen Körpers, d. h. die Menge an Wasser in den Zellen einschließlich der im Wasser gelösten Stoffe wie z. B. Mineralstoffe und niedermolekulare Kohlenhydrate, ist streng reguliert, damit der Körper seine sollgerechten Funktionen aufrecht erhalten kann.
Sie kennen das von der Notfallklinik: Wenn jemand viel Blut verloren hat oder kollabiert ist, bekommt er erst einmal intravenös „physiologische Kochsalzlösung“, die hat exakt 0,9 Prozent Kochsalz. Weil das genau dem Anteil der im Blut gelösten Stoffe entspricht, nennt man eine derartige Lösung auch isotonisch. Passt also biochemisch zum Körper.
Was würde passieren, wenn der Gehalt an löslichen Stoffen höher wäre als 0,9 Prozent? Das kennen Sie aus allerlei dramatischen Spielfilmen. Wenn Schiffbrüchige mangels Trinkwasser aus Verzweiflung Meerwasser trinken (enthält 3,3 Prozent Kochsalz!), dann trinken sie immer mehr, bekommen noch mehr Durst, leiden dann unter motorischen Störungen, erleiden später Halluzinationen und springen meist filmreif vom Rettungsboot ins Wasser und ertrinken dann erst richtig.
Daher die erste Seefahrerregel: Niemals Meerwasser trinken!
Und jetzt erahnen Sie schon den Grund: Einsam ohne Versorgung im Rettungsboot und nur (Meer)Wasser mit 3,3 Prozent Kochsalz? Das kann nicht gut gehen, denn der Körper verträgt ja bekanntlich maximal 0,9 Prozent. Was macht der Körper jetzt?
Er versucht, den Salzgehalt von 3,3 Prozent auf 0,9 Prozent herunter zu verdünnen. Dazu benötigt er Wasser und das äußert sich in Durst. Und wenn er jetzt das (einzig verfügbare) Meerwasser mit 3,3 Prozent Kochsalz trinkt, dann wird es nicht besser, sondern immer schlimmer, weil er dem Körper neben dem Wasser noch mehr lösliche Substanzen (hier das Kochsalz) zuführt, die auch noch verdünnt werden müssen.
Flüssigkeiten mit einem Gehalt an löslichen Stoffen, die oberhalb des physiologischen Wertes des Körpers liegen, nennt man hypertonisch.
Die meisten Erfrischungsgetränke enthalten allerlei gelöste Stoffe, meist Zucker und andere Zuckerarten, die das Getränk also hypertonisch machen – und damit tatsächlich noch mehr Durst erzeugen können.
Also Kommando zurück – nur noch destilliertes Wasser ohne jegliche gelöste Stoffe trinken? Sie ahnen es schon, das ist auch nicht die ideale Lösung. Produkte, die weniger gelöste Stoffe enthalten als im physiologischen Bereich von 0,9 Prozent, heißen hypotonisch. Doch was passiert jetzt? Der Körper hat zwar nicht das Problem, hohe Konzentrationen von gelösten Stoffen verdünnen zu müssen (weil keine da sind), aber er verliert durch natürliches Schwitzen ständig Mineralstoffe, die nicht ersetzt werden. Sollten Sie tatsächlich wochenlang nur destilliertes Wasser ohne jede feste Nahrung (die ja auch Mineralstoffe enthält) zu sich nehmen, wäre ein multiples Organversagen die biochemische Folge, weil der Gesamtgehalt aller gelösten Stoffe in den Zellen unter 0,9 Prozent sinken würde.
Auch dieser Zusammenhang ist Ihnen vielleicht bekannt. Sind Sie schon einmal über die Alpen gewandert? Was finden Sie auf den Alpen, wo ganz oben das Vieh grast und als Tränkwasser nur nahezu mineralstofffreies Regenwasser zur Verfügung steht? Richtig, einen Leckstein! Der besteht aus Kochsalz nebst anderen Mineralstoffen. Hier gleichen die Tiere den Mineralstoffbedarf aus, der Ihnen ganz oben auf der Alp nicht zur Verfügung stehen kann.
Lecksteine gibt’s in handlichen 5 kg-Würfeln, falls Sie einmal einen brauchen.
Die Lösung des biochemischen Schlammassels: isotonische Getränke.
Die gibt es seit ca. 15 Jahren tatsächlich. Es handelt sich um eine Mischung aus Trinkwasser und verschiedenen Magnesium-, Kalium- und anderen Mineralsalzen (aber keine Natriumsalze – sonst schmeckt’s salzig!), welche aus geschmacklichen Gründen meist mit Zitronensäure, Zuckerarten und evtl. Aromen abgerundet ist – in jedem Falle aber eben einen Gehalt an löslichen Stoffen im physiologischen Bereich aufweist.
Davon können Sie dann 1000 Liter trinken, ohne dass Sie aus dem Rettungsboot springen oder nach einem Leckstein verlangen.
Soweit die biochemische Vorlesung des heutigen Tages.
Und jetzt noch einmal eben zum wirklich wahren Leben. Ihr Körper kann solche Extreme – die in unserer gut ernährten Welt so ja gar nicht auftreten – natürlich bis zu einem gewissen Grad ausgleichen, denn Sie trinken ja weder ausschließlich Meerwasser noch destilliertes Wasser und nehmen auch noch feste Nahrung zu sich. Gegen ein Glas zuckerhaltiges Erfrischungsgetränk ist genauso wenig etwas einzuwenden wie gegen einen erfrischenden Trunk aus dem fließenden Gebirgsbach während der Wanderung.
Sollten Sie sich aber tatsächlich einfallen lassen, bei 30 Grad im Schatten einen Marathon zu laufen mit der Folge, dass Ihr Flüssigkeitsbedarf auf mindestens sieben Liter ansteigt und Sie gleichzeitig Mineralstoffe im Gramm-Bereich (!) pro Stunde (!) ausschwitzen, dann sollten Sie in der Tat isotonische Getränke zu sich nehmen, wenn Sie nicht im Rettungswagen landen und nebulös vom Arzt vernehmen wollen: „einmal 09er“.
So, und das war jetzt mal kein Witz.
Sehr sehr schöner und sehr anschaulicher Artikel. Sollte man in dem Biologieunterricht der Oberstufe einbinden, dann wäre das Thema Konzentrationsausgleich schon mal verständlicher.
mal wieder ein wahrlich lesenswerter Artikel, vielen Dank für Ihre kurzweiligen und aufschlussreichen Artikel!