Professor Nöhles Essensalltag
Lebensmittel sollten nur weggeworfen werden, wenn sie wirklich ungenießbar sind und nicht einfach, weil ich zu viel gekauft oder gekocht habe, sie unschön aussehen oder weil ich aus Langeweile gerade nicht weiß, wohin damit. Im Netz verbreitet sich gerade eine neue Idee, wie man noch mehr aus einem pflanzlichen Lebensmittel heraus holen kann: Es sollen nicht nur die bisher bekannten und verzehrten Pflanzenteile gegessen werden – also der „first cut“ -, sondern auch „der Rest“, genannt der „second cut“. Was ist gemeint und geht das?
Wenn Sie z.B. einen Radieschensalat zubereiten, also genau gesagt, die Speicherknollen von Raphanus sativus (so viel Wissenschaft muss sein), dann werfen Sie ja den oberirdischen Teil, das Grünzeugs, weg. Warum eigentlich – die Blättern könnten Sie doch noch schön in den Salat hinein schneiden. Und das gleiche gilt für das Grünzeugs von Karotten, den Stämmen von Broccoli, Bananenschalen, ja eigentlich für sämtliche Pflanzenteile, die wir bisher nicht als Lebensmittel verzehrt haben. Kochen nach dem „Leaf to Root“-Prinzip, eine pflanzliche Anlehnung an „Nose to Tail“. Ist doch alles reine Natur und die kann ja deshalb gar nicht giftig sein?
Auch schön aussehende Früchte können giftig sein
Oh je, voll daneben. Es gibt jede Menge in der Natur vorkommende Pflanzen bzw. Inhaltsstoffe von Pflanzen, die in der Tat giftig und teils tödlich sind. Und viele davon kennen Sie: Knollenblätterpilz, Kartoffelbovist, Riesenrötling – die reine Natur – und leider tödlich. Bittermandeln enthalten von Natur ein zyanidhaltiges Glycosid, das Amygdalin. Nur zehn Bittermandeln führen bei einem Kind zu einer tödlichen Blausäurevergiftung, beim Erwachsenen braucht es 60 Mandeln dieser natürlichen Art.
Na ja, sagen Sie jetzt, wer isst denn schon Knollenblätterpilze und Bittermandeln.
Soso, wie war das noch gleich mit den grünen Buschbohnen? Die enthalten ein Hämagglutinin, welches zur Verklumpung der roten Blutkörperchen führt. Das so genannte Phasin kommt zwar in rohen Hülsenfrüchten vor, wird aber beim Kochen zerstört – und deshalb müssen Bohnen stets gekocht werden!
Und wie war das mit den grünen, unreifen Kartoffeln? Ach ja, Sie erinnern sich, die grünen Teile von Nachtschattengewächsen, den Solanaceae (immer diese Wissenschaft) soll man nicht essen. Und wie war das noch gleich mit Rotem Fingerhut, Engelstrompete, Tollkirsche und Herbstzeitlose? Ja genau, auch schön aussehende Blüten – Blätter und Früchte können sehr giftig sein. Also bitte keine (unbekannten) Blüten als schicke Deko auf den Tellerrand legen!
Doch der Mensch hat aus Erfahrungen gelernt und deshalb essen wir diese Pflanzen(teile) eben nicht. Eine andere Möglichkeit, unerwünschte Bestandteile aus Pflanzen zu entfernen und sie dadurch erst genießbar zu machen ist die Pflanzenzucht.
Früher bitter, heute Trendfood
Noch vor 50 Jahren war der natürliche Raps wegen seines hohen Gehaltes an einer bestimmten Fettsäure, der Erucasäure, aufgrund deren extremer Bitterkeit nahezu ungenießbar. Die ist heute heraus gezüchtet und Sie finden mittlerweile jede Menge Rapsfelder und Rapsöl – die Wissenschaft (schon wieder) macht’s möglich.
Der allerneuste Trend: Lupinensamen zur Herstellung von glutenfreien Backwaren, also als Ersatz für glutenhaltige Getreide. Hört sich sehr zielführend an. Doch bestimmte Lupinenarten enthalten bittere Chinolizidinalkaloide, auch schön giftig. Doch auch hier hat die Lebensmitteltechnologie inzwischen zugeschlagen. Wir können diese Lupinen „entbittern“ und die giftigen Alkaloide entfernen – und so finden Sie heute inzwischen tatsächlich Brot mit Lupinen, die dann aber entsprechend behandelt worden sind.
Also merke: Nicht alles, was schön grün ist und draußen in der nackten Natur so wächst, ist als Lebensmittel geeignet – man muss schon wissen, was man da so isst.
Pflanzenschutzmittel im Radieschenblattsalat
Und damit nicht genug, es gibt einen weiteren Punkt: Pflanzen werden zur Verhinderung des Befalls mit Schädlingen oder gegen Pflanzenkrankheiten mit Pflanzenschutzmitteln behandelt. Für deren Rückstände auf Pflanzen in Bezug auf den essbaren Anteil gibt es strenge Grenzwerte, die so genannten Rückstandshöchstmengen.
Und jetzt noch einmal zum fiktiven Radieschenblattsalat: Diese Rückstandshöchstmengen gelten für den bei uns üblicherweise verzehrten Anteil der Pflanze, hier für die unterirdischen Knollen, aber doch nicht für die überirdisch wachsenden Blätter! Die werden bei uns nicht gegessen und auch von niemandem auf der Welt untersucht – wozu auch? Gleiches gilt für Kohlrabiblätter oder für die Blätter des Kastanienbaumes: Alles keine als Lebensmittel üblicherweise verzehrten Pflanzenteile. Inhaltsstoffe oftmals unbekannt, Rückstände mangels Nutzen nicht gelenkt.
Also, bei der nächsten furchtbar kreativen Idee rund um pflanzliche „second cuts“ kurz noch einmal nachdenken.
Und wer es noch genauer wissen will, das Bundesinstitut für Risikobewertung hilft auch hier mit fundierten Informationen: