Professor Nöhles Essensalltag
In den Medien wird gerade sehr intensiv über Zucker berichtet und insbesondere über „gute“ und „schlechte“ Zucker. Bei diesen Berichten schneidet jeder Zucker, der in Früchten enthalten ist, also z.B. Glukose aus einem Apfel „gut“ ab, doch der gleiche Zucker, also die Glukose, z.B. aus einem Glukose-Sirup, schneidet „schlecht“ ab. Wie kann das sein? Was sind die Unterschiede? Und ist die Einteilung in „gut“ und „schlecht“ berechtigt?
Im Schnelldurchgang hier die biochemischen Fakten zu Zucker:
1. Was sind Zucker und Kohlenhydrate?
Unter Zucker, die auch zur Gruppe der Kohlenhydrate gehören, verstehen wir lebensmittelrechtlich alle Einfach- und Zweifachzucker, also im wesentlichen
- Glukose (= Traubenzucker, bestehend aus einem Molekül)
- Fruktose (= Fruchtzucker, bestehend aus einem Molekül)
- Saccharose (= Haushaltszucker, besteht aus einem Molekül Glukose und einem Molekül Fruktose)
- Maltose (= Malzzucker, bestehend aus zwei Molekülen Glukose)
- Laktose (= Milchzucker, bestehend aus einem Molekül Glukose und einem Molekül Galaktose).
- Stärken und Stärkeverzuckerungsprodukte sind komplexe, langkettige Kohlenhydrate, die aber auch „nur“ aus hintereinander geketteten Glukosemolekülen bestehen, wie z.B. Kartoffelstärke im Kartoffelpüree, Weizenstärke im Brot, Maisstärke in der Polenta bis hin zum bekannten Glukosesirup in Ketchup, Süßwaren und Müsliriegeln.
- Alle diese Kohlenhydrate sind verdaulich und haben einen Energiegehalt von 4 kcal/g.
Rein biochemisch und energetisch ist es völlig egal, ob Sie Glukose aus weißem Verbrauchszucker oder aus einer Erdbeere, einer Weintraube, einer Blaubeere oder aus Honig zu sich nehmen. Auch die Stärke aus einem handgefertigtem natursauerteiggeführten Roggenschrotbrot macht es zunächst nicht besser – alles führt zu einer Kalorienaufnahme von 4 kcal/g, denn alle Kohlenhydrate, die dem Körper zugeführt werden – egal ob einzeln, als Disaccharide oder in längeren Ketten – werden im Organismus zunächst zu Einfachzuckern, meist der Glukose abgebaut.
2. Was genau passiert mit diesen Zuckern im Körper?
- Durch Enzyme im Speichel (den Amylasen) beginnt die Verdauung der Stärken bereits im Mund, wird im Magen und im Darm bei verschiedenen pH-Werten sowie durch die Mikroflora des Darmes fortgesetzt und endet zunächst einmal nach vollständigem Abbau der oben genannten Kohlenhydrate in Einzelzuckern, im Wesentlichen der Glukose. Diese Glukose wandert jetzt durch die Darmwand ins Blut und nennt sich dort jetzt Blutzucker, also das Produkt, welches Sie beim Arzt messen lassen. Aus diesem Zucker gewinnen Ihre Zellen Energie. Doch dazu muss die Glukose erst einmal in die Zellen gelangen – das geht nur aktiv mit einem „Transportprotein“, und das ist das Ihnen bekannte Insulin, welches in der Bauchspeicheldrüse produziert wird. Dieses Insulin schleust die Glukose aktiv in die Zelle ein, dort wird sie zu kleineren Teilstücken abgebaut und dabei Energie gewonnen. Erst dadurch können neue Zellen aufgebaut werden (sprich, Sie wachsen!) und Ihre Muskeln können sich bewegen (Sie gehen zu Fuß von A nach B).
- Wenn das Verhältnis von zugeführten und zu Energie umgesetzten Zuckern – egal aus welcher Quelle (!) – im Gleichgewicht zur benötigten Energie, z.B. für Bewegung und Zellwachstum liegt, dann geht es Ihnen gut. Verbrauchen Sie mehr als über die Nahrung nachgeführt wird, hungern Sie und der Körper greift ersatzweise auf Ihre Fettreserven zu – Sie werden dünner! Führen Sie aber mehr Glukosemoleküle zu als Sie benötigen, – egal aus welcher Quelle, ob aus einem selbst gemachten Erdbeer-Smoothie oder aus einem Glas Cola – so sagt sich Ihr Körper sinnbildlich „Danke für das Angebot, benötige ich derzeit nicht, aber vielleicht doch später, besser mal aufbewahren“. Da Glukosemoleküle aber im Menschen nicht speicherfähig sind, generiert Ihr Körper Fette als Speichermedium für biochemische Energie – Sie werden dicker! Also sehr einfach und logisch, was Ihr Körper da so macht. Und das, was Ihr Körper macht, ist auch nicht ganz furchtbar schrecklich, sondern schlicht Ihre Lebensversicherung gegen das Verhungern, denn erst seit Mitte des letzten Jahrhunderts haben alle Menschen in Europa wirklich genug zu essen und niemand hungert mehr. Vor 200 Jahren wären Sie froh gewesen, wenn Sie „etwas auf den Rippen gehabt hätten“ – heute in unserer Wohlstandsgesellschaft ist es genau umgekehrt. Der Speicher für Notzeiten ist nicht mehr das Fett am Bauch, sondern der Supermarkt an der Ecke.
3. Welche Rolle spielt Insulin?
Doch ganz so einfach ist es noch nicht. Wenn Sie jetzt ununterbrochen vor sich hin naschen und alle 20 Minuten irgendetwas essen, das Sie eigentlich kalorisch gar nicht brauchen, produziert Ihre Bauchspeicheldrüse ständig Insulin, um die Glukose in die Zellen abzutransportieren. Wenn Sie dann noch Einfachzucker zu sich nehmen (im Gegensatz zu Stärke, die erst langsam in Einfachzucker abgebaut wird), dann produziert Ihre Bauchspeicheldrüse quasi sägezahnkurvenartig ständig nach Bedarf Insulin – und dieser Vorgang führt dann nicht nur zu Übergewicht wegen der ständigen überflüssigen Kalorienaufnahme, sondern er erzeugt auch eine Art Heißhungerattacke, die sie zu noch mehr Nahrungsaufnahme verleitet.
Und wenn Sie das 30 Jahre lang so machen und sich als bewegungsarme couch potatoe so langsam aber sicher einen Body-Mass-Index von über 30 bis 35 einschließlich Fettleber angefuttert haben, tja, dann droht tatsächlich der Diabetes Typ II. Die Bauchspeicheldrüse produziert immer weniger Insulin, die Glukose im Blut wird nicht mehr in die Zellen abtransportiert und es besteht die Gefahr, dass Sie nach einigen Jahren mit adipösen Körperformen tatsächlich „zuckerkrank“ werden. Eine echte Wohlstandskrankheit.
4. Was ist zu tun?
- Essen Sie nur, wenn Sie Hunger haben.
- Hören Sie auf zu essen, wenn Sie satt sind.
- Nehmen Sie geordnet, bewusst, diszipliniert und in Ruhe fünf Mahlzeiten täglich zu sich.
- Essen Sie, was Ihnen schmeckt. Das darf auch gerne fettreich oder süß sein, aber eben nur so viel, bis Sie satt sind und nicht „bis Sie nicht mehr können“.
- Bewegen Sie sich regelmäßig und mit Freude.
Richtig, das sind alles Binsenweisheiten!
5. Was Ihnen kaum helfen wird
- Der Verzehr großer Mengen an Fruktose, also Fruchtzucker, der nicht insulinpflichtig ist und direkt vom Blut in die Zellen wandert, schützt nicht vor Diabetes Typ II. Im Gegenteil, die nicht über Insulin gesteuerte und somit unkontrollierte Kohlenhydrataufnahme führt eher noch schneller zur Leberverfettung.
- Der Austausch von kalorienliefernden Kohlenhydraten durch nahezu kalorienfreie Süßstoffe reduziert richtigerweise die Kalorienzufuhr, das ist schon mal gut. Aber wenn Sie jetzt noch zügelloser das Doppelte verzehren, kann ich Ihnen auch nicht mehr helfen.
- Zuckeralkohole wie Sorbit, Mannit, Xylit u.a. haben nur 2,4 kcal/g. Diese können für bestimmte Lebensmittel (z.B. für weniger kariogene Bonbons) eine Alternative zu den klassischen Kohlenhydraten sein, wirken aber bei übermäßigem Verzehr abführend (steht auch auf der Verpackung).
- Glukosesirup, Glukose-Fruktose-Sirup, Maltodextrin, Magermilchpulver, Molkepulver usw. sind keine „schlechten“ Lebensmittel oder Inhaltsstoffe, genauso wenig, wie Smoothies, selbstgepresste Fruchtsäfte und Fruchtsalate usw. besonders „gute“ Lebensmittel sind. Alle Produkte haben zwar spezifische Eigenschaften, werden aber gleichartig verstoffwechselt. Die jeweiligen Zutaten, der Energiegehalt und der Anteil an Gesamt-Kohlenhydraten wie auch der Gehalt an Zuckern steht auf der Verpackung und sind nicht geheim.
- Das gezielte Weglassen oder die gezielte Zufuhr ganz bestimmter Lebensmittel oder bestimmter Inhaltsstoffe kann eine mögliche Disziplinlosigkeit in Ihrer Ernährung nicht kompensieren.
- Es gibt keine gesunden Lebensmittel und auch keine kranken Lebensmittel. Aber es gibt eine gesund erhaltende Lebensweise und eine eben krank machende Lebensweise – und die haben Sie durch Ihr persönliches Verhalten in der Hand.
Bingo !