Professor Nöhles Essensalltag
Die Medien haben sich in den letzten Monaten geradezu überschlagen mit heißen Tipps zur Ernährung. Alle, aber auch alle Journale, Tageszeitungen, der Boulevard und die Online-Medien haben sich mit den tollsten Ratschlägen in Szene gesetzt: „Die 100 besten Lebensmittel“, „5 Lebensmittel, die Sie auf keinen Fall essen sollten“, Lebensmittel, die Krebs angeblich fördern, solche, die Krebs angeblich verhindern, Lebensmittel mal für und mal gegen Alzheimer, Lebensmittel, die Sie unbedingt am Morgen oder bitte niemals am Abend essen sollten… es war kaum auszuhalten. Meist gab’s dann noch eine kleine Broschüre dazu zu kaufen, denn irgendwo her muss das Geld ja kommen.
Und – was fehlt uns denn nun wirklich?
Tja, eigentlich gar nichts, denn niemals ging es uns in Bezug auf die Ernährungslage so gut wie heute und wir haben eher von allem zu viel und nicht etwa zu wenig.
Doch halt, eine Ausnahme gibt es da tatsächlich: Jod. Dieses Spurenelement ist wichtig für die Bildung des Schilddrüsenhormons „Thyroxin“. Für die Wissenschaftler unter Ihnen hier der systematische Name: Tetrajodthyronin, also ein Molekül mit vier Jod-Molekülen. Produziert die Schilddrüse zu wenig Thyroxin (= Hypothyreose) oder zu viel Thyroxin (= Hyperthyreose) führt das zu dramatischen Stoffwechselentgleisungen an anderen Stellen des Körpers.
Jod lässt sich (wie alle Spurenelemente und Mineralstoffe) aber nicht erzeugen, es ist ein Element und muss von allen Lebewesen mit der Nahrung aufgenommen werden. Und hier kommt auch schon das Problem: Unsere Umwelt in Deutschland (also Trinkwasser und Nahrungsmittel tierischer und pflanzlicher Art) enthält nicht genug Jod, wir sind ein so genanntes „Jodmangelgebiet“.
In der Schweiz war es noch viel dramatischer. Die Menschen, die ganzjährig hoch oben auf den Alpen wohnten (heute macht das ja keiner mehr) tranken notwendigerweise das Oberflächenwasser, das als Regenwasser von den Bergen rann – garantiert mineralstoffarm. Prompt bekamen sie einen extrem großen Kropf, also eine Hyperthrophierung des Schilddrüsengewebes, welches verzweifelt versuchte, Thyroxin zu bilden, das aber mangels Jod nicht konnte.
Ganz so schlimm war und ist es in Deutschland nicht. Der Jodbedarf des erwachsenen Menschen liegt bei ca. 180 bis 200 Mikrogramm pro Tag. Aus der Nahrung (ohne zugesetztes Jodsalz) können aber nur 90 bis 110 Mikrogramm pro Tag gedeckt werden – das ist offensichtlich zu wenig.
Und – werden wir jetzt deshalb alle einen Kropf bekommen? Nein, werden wir nicht.
Die Wissenschaft hat diese Zusammenhänge nämlich schon lange erkannt. Seit den 80er Jahren gibt es zum Beispiel jodiertes Speisesalz für den Haushalt zu kaufen. Das steht vorne groß auf der Packung und rund 80 Prozent der Haushalte nutzen dieses Angebot auch.
Auch die Nahrungsmittelindustrie und das Nahrungsmittelhandwerk bedienen sich gemäß der Empfehlungen der Bundesoberbehörden und der DGE (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) des Jodsalzes bei der Herstellung von zusammengesetzten Lebensmitteln, dort finden Sie dann „Jodsalz“ oder „jodiertes Speisesalz“ in der Zutatenliste. Ähnliches gilt übrigens für die Nutztierhaltung: auch Futtermittel enthalten gelenkte Mengen an Jod, alles mit Mengenbeschränkungen nach Verwendungszweck in Rechtsvorschriften geregelt.
Und deshalb finden Sie heute im Gegensatz zu früher nur noch wenige Menschen mit einer „jodmangelinduzierten Schilddrüsenvergrößerung – auch hier hat der wissenschaftliche Fortschritt voll zugeschlagen.
Daher mein non-boulevard Ernährungstipp und ganz ohne Kaufangebot einer Broschüre: stets zu Jodsalz greifen.
Doch eines muss ich Ihnen noch berichten: Auch wenn es um Jodsalz geht, gibt es wie immer „Ernährungsextremisten“. Unter denen gibt es welche, die meinen, Jodsalz sei künstlich und deshalb schlecht, nur „natürliches Jod“ aus bestimmten Algen sei wirklich gut. Und die kaufen sich dann im Internet irgendein Algenpulver mit besonders hohem Jodgehalt.
So, jetzt ist aber Schluss mit lustig!
Richtig ist, dass zahlreiche Algenarten Jod aus dem Meer anreichern – das ist zunächst einmal nicht schlecht. Aber da gibt es Algenarten, die enthalten bis zu 6,5 Gramm Jod/kg Algen-Trockenmasse – kein Tippfehler. Und ein derartig hoher Jodgehalt führt schon nach einmaliger „Einnahme“ mit Sicherheit zu pathologischen Veränderungen an Ihrer Schilddrüse. Das Ganze ist so dramatisch, dass das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) vor dem Verzehr dieser Produkte warnt. Wir hatten das schon mal – nicht alles, was in der reinen Natur so vorkommt, ist gut.
Mehr Infos unter: www.bfr.bund.de