Professor Nöhles Essensalltag
Gab es heute Morgen bei Ihnen Erdbeermarmelade, Himbeermarmelade oder Kirschmarmelade zum Frühstück? Ja, wirklich? Das tut mir jetzt echt leid, denn wenn Sie diese Worte noch einmal in den Mund nehmen, muss ich Sie leider mit einem Bußgeld über 200 Euro oder aber zumindest mit zehn Sozialstunden wegen Nicht-Aufpassens während der Lebensmittelrecht-Vorlesung belegen. Es gibt diese Marmeladen nämlich überhaupt nicht – es handelt sich um eine völlig rechtsfreie verbale Erfindung von wahrscheinlich uninformierten Hausfrauen und Hausmännern. Was ist passiert?
Es begab sich zu der Zeit, als das Vereinigte Königreich den Europäischen Gemeinschaften (EG) beitreten wollte – das war im Jahr 1972 nach Christi Geburt. Nach zweimaligem Veto durch Frankreich hatten die Briten es endlich geschafft – mit zahlreichen Ausnahmeregelungen zugunsten der Briten. Eine davon betraf die „marmelade“. In Großbritannien durften nämlich nur Produkte aus Zitrusfrüchten die Bezeichnung „marmelade“ tragen, also zum Beispiel die allseits bekannte „orange marmelade“. Entsprechende Produkte aus Nicht-Zitrusfrüchten wie zum Beispiel aus Brombeeren, Erdbeeren, Himbeeren etc. hießen und heißen in UK auch heute noch „jam“, also zum Beispiel „strawberry jam“. Das vertrug sich nun gar nicht mit unserer „Erdbeermarmelade“, die Ihre Oma noch kannte.
And what now?
Ein Importverbot wäre in der der EG bzw. heutigen EU natürlich gar nicht gegangen – das hätte ja gegen die Art. 30 bis 36 des EG-Vertrages, der freien Verkehr von Personal, Kapital, Waren und Dienstleistungen garantiert, verstoßen. Die Lösung des Problems: Kontinentaleuropäer haben in tiefster Untertänigkeit gegenüber den Briten doch tatsächlich ihre angestammten Namen geändert. Seit dem heißen entsprechende Brotaufstriche in Deutschland „Konfitüre“, im konkreten Fall also Erdbeerkonfitüre.
Erdbeermarmelade (enstpricht engl. „strawberry jam“) gibt es also nicht, wohl aber Orangenmarmelade (entspricht engl. „orange marmelade“).
Basta.
Und jetzt treten die Briten aus? Das ist ja echt ein Ding. Jetzt könnten wir die Rechtsvorschrift ja wieder ändern und unsere gute alte Erdbeerkonfitüre endlich wieder Erdbeermarmelade nennen. Wozu so ein Brexit nicht alles gut sein kann…
Ah, ich sehe gerade, Sie wollen sich doch noch etwas in diesem Metier fortbilden?
Dann lesen Sie am besten die ganze Konfitürenverordnung einmal im Wortlaut, damit Sie sich beim nächsten Brunch als echter Europäer outen können. Natürlich bitte gleich auf deutsch und auf englisch, sonst wird das nichts.