Eine Buchkritik von Christoph Minhoff.
Dieser Artikel erschien im Original hier: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 26. August 2018, WIRTSCHAFT, Seite 27 – Ausgabe D1, D1N, D1S, D2, R.
Thilo Bode attackiert die Konzerne. Und will die Armen vor wachsendem Wohlstand bewahren. Hier widerspricht ein Intimfeind.
Es ist eine düstere Welt, in die wir eintauchen. Eine Welt von Macht, Gier und Geschäft, von Verdunkelung und Vernichtung: „Die Diktatur der Konzerne“ ist Thilo Bodes neues Werk über die Rolle von multinationalen Großunternehmen in der globalisierten Welt. Das Fazit des „foodwatch“-Gründers geht kurz und knapp: Konzerne schaden der Menschheit und zerstören die Demokratie. Der Einband des im Fischer-Verlag erschienen Buches kommt schwarz-weiß-rot daher. Lauter kann man kaum darauf hinweisen, dass der Leser hier Dunkles erwarten und vermuten soll. „Die Diktatur der Konzerne“ gliedert sich in vier große Abschnitte: über die Macht der Konzerne, die Vermischung von Unternehmen und Politik, die Folgen einer solchen Entwicklung und schließlich die Haftungsfragen. In diesen Kapiteln referiert Bode seine Fallsammlungen und Bewertungen der Rolle von Konzernen, von Kekslieferung an Amazonas-Indianer bis zur Kinderarbeit in Kobalt-Minen. Da erzählen sich viele kleine Geschichten und große Verschwörungen, aber überraschend wenig wirklich Neues.
Bode geht es, so beteuert er unablässig, um das „Wohl der Menschheit“. Immer wieder nimmt er im Text darauf Bezug: „Ich halte es für angemessen, es eine Tragödie für die Menschheit zu nennen, dass Konzerne ihr gewaltiges technologisches Potential nicht zum Wohl der Allgemeinheit, sondern zu ihrem Schaden einsetzen.“ Bode ist Antikapitalist, jedenfalls wirkt es so: Seine schlicht gehaltene Kapitalismuskritik aus der marxistischen Ursuppe gipfelt im Monopoly-Spiel-Vergleich. Die Verquickung von Politik und Konzernen macht Thilo Bode an den Rollenwechseln von Politikern in Unternehmen fest: „In der neuen Lobbywelt sind Wirtschaft und Politik aufs engste zu einem industriell-politischen Komplex verflochten, oft eins geworden in ein und derselben Person, die nur die Seiten gewechselt hat.“ Ein bedenkenswertes Argument, wäre da nicht der Rollenwechsel, den NGO-Aktivisten an führende Stellen in die Politik vollführen. Staatssekretär Jochen Flasbarth vom Bundesumweltministerium etwa war lange Jahre hauptamtlicher Präsident des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu). Rücksichten seinerseits auf Konzerninteressen sind nicht bekannt.
Massive Kritik übt Bode auch an einem Lebensmittelunternehmen, das in Brasilien die Nahrungsmittelversorgung von abgelegenen Regionen der Indios per Boot organisierte. „Zuerst wurden die Amerikaner, Europäer und Australier dick und krank, dann die Menschen in immer mehr Länder in Asien, Afrika, Lateinamerika und im Mittleren Osten.“ Bode macht für diese Entwicklung einzelne Konzerne verantwortlich. Folgte man diesen simplen Erklärmustern, wären die gleichen Unternehmen auch dafür verantwortlich, dass in Brasilien innerhalb von zwei Generationen die Lebenserwartung von 62,5 Jahren (1980) auf 75,8 Jahre (2016) angestiegen ist.
Das dichotome Weltbild Bodes, Freund/Feind, gut/böse, richtig/falsch, zieht sich durch das gesamte Werk. Dabei mutieren Bürger prinzipiell zu Opfern, entmündigt und fremdbestimmt. An jedem globalen Problem ist auch immer einer „schuld“: so die Energiekonzerne für den Klimawandel und nicht die Pauschaltouristen auf dem Schweröl-Urlaubsdampfer. Man fragt sich mit jeder weitergelesenen Seite: Welche Welt wünscht sich der Autor, wenn er Folgen der Wohlstandsentwicklungen in Indien, Afrika und Südamerika beklagt?
„Eine Welt ohne Mangelernährung und Hunger ist ehrenvoll, aber die Omnipräsenz von Konzernen in diesen Allianzen wirft immer neue Fragen auf, wer vom ,kreativen Kapitalismus‘ am Ende wirklich profitiert.“ Will der Autor Hunger und Übergewicht gleichwertig alternativ stellen? „Viele von ihnen arbeiteten vor nur einer Generation auf den Feldern, hatten oft wenig zu essen und legten weite Wege zu Fuß zurück; inzwischen leben sie in den explodierenden Städten, sind in Bussen und auf Motorrädern unterwegs.“
Es ist zum üblichen Ritual der ökoautoritären Bourgeoisie geworden, aus dem brandneuen E-Mobil heraus einen Lebensstil-Kolonialismus zu predigen: Lauft weiter zu Fuß, hungert besser weiter, grabt lieber Maniok mit den Händen aus, und verzichtet auf Wohlstand, der tut euch nicht gut!
Richtig zu Hause ist der Autor immer dann, wenn es um die Ausschmückung drohender Katastrophen geht. Zweifellos besitzt er ein dramatisches dramaturgisches Erzähltalent: „Korallenriffe sterben. Hitzewellen belasten Mensch, Tiere und Pflanzen, vor allem ältere und kranke Menschen sind gefährdet. (…) Schmelzende Berggletscher lösen Bergrutsche aus. Starkregen verursachen Überschwemmungen. Krankheitserreger breiten sich schneller aus.“ Für all das macht Bode Konzerne verantwortlich. „Wann immer Konzerne am Pranger stehen, in der Finanzkrise, bei Lebensmittelskandalen, in der Autoindustrie, bei Facebook regen sich die Menschen auf und fragen, warum die Konzerne straffrei davonkommen, warum ihre Manager noch nicht im Gefängnis sitzen.“ Redaktionsschluss des Buches war der Juli 2018. Das erstaunt, denn genau dort – im Gefängnis – saßen Manager der Automobilhersteller und Finanzkrisenakteure.
Zum Schluss seines Werkes holt Bode noch einmal großes Besteck heraus: Er verlangt die Anwendung des Völkerrechts gegen Konzerne. Er will regulieren, verklagen, Gewinne abschöpfen. Dass die Macht der Konzerne immer von der Macht ihrer Produkte abhängt, verschweigt der Text. Konzerne, die noch vor wenigen Jahren als marktbeherrschend tituliert wurden, existieren heute gar nicht mehr. Die nach Bode allmächtigen Konzerne wissen genau, schon morgen kann eine neue technische Entwicklung, eine neue Produktinnovation, ein neues Lebensgefühl sie von der Bildfläche wischen.
Richtig ist: Bodes Überzeugungen sind offenbar nicht die der Mehrheit in den demokratischen Gesellschaften. Denn seine Zustandsbeschreibungen und seinen politischen Forderungen finden sich fast wortgleich in den Programmen von – meist extremen – Parteien wieder. Es ist nicht ein Mangel an Demokratie zu beklagen, sondern ein Mangel an demokratischer Akzeptanz des Autors, Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren: „Wir brauchen eine Gegenmacht in der Gesellschaft, die durch gewaltfreien zivilen Widerstand die Machtfrage stellt.“ So was kennt man aktuell in diesem Land schon, von denen, die allmontaglich „Wir sind das Volk“ skandieren.
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Tilo Boden weiß was sich gehört, er kauft sein Handy bei einer regionalen Manufaktur und hergestellt ist es aus heimischen Hölzern