Über die Lernfähigkeit der Medien, faire Deals zwischen Produzenten und Verbrauchern und die Studienlawine mysteriöser Volkserzieher. Der Presse-Querschnitt der Woche von Heinz Klaus Mertes.
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Aufwind & Rückfall. Recht kritisch hatte sich der Medien-Querschnitt KW 36 mit der ARD-Premierensendung „Der beste Deal“ vergangene Woche auseinandergesetzt, in der klischeehafte Uralt-Vorurteile über das Mindesthaltbarkeitsdatum bei Lebensmitteln aufgewärmt wurden. Die leise Hoffnung, dass die zu Tage getretenen journalistischen Fehlleistungen und Schwächen samt entsprechender Desorientierung der Verbraucher sich in den weiteren Folgen auswachsen würden, erfüllte sich leider nur begrenzt.
Auf dem Primetime-Montagsplatz diese Woche ging es in einem Beitrag um den Verbrauchertrend „Sparen durch Coupons“. Anschaulich griff die Sendung zunächst diese populäre Konsumentenbewegung auf. 18 Milliarden Coupons für Drogerieprodukte und Lebensmittel von Händlern und Hersteller kamen 2017 in Kundenhände. Rund 200 Millionen Euro sparen deutsche Verbraucher jährlich, wie eine aktuelle Marktforschungsstudie dokumentiert. Ein guter Deal also – vor allem, wenn diese Rabattvergünstigungen von kühlen Rechnern auch noch kombiniert werden.
So kam man in der Sendung nicht umhin, den gefragten Spareffekt des „Couponing“ in seinen vielen Spielarten als realistisch und seriös anzuerkennen. Es besteht ja auch ein gesetzlicher Rahmen dafür. Doch folgte dann der krampfige Versuch, den Millionen Käufern und Konsumenten die Freude an diesen Vorteilsgewährungen zu verderben. So etwa wurde die Kaufpreis-Rückerstattung bei Nichtgefallen von Probe- und Einführungsprodukten, „Cashback“ genannt, als eine Art Schlangengrube der Datensicherheit herausgestellt. Dabei genügt für die Rücküberweisung des Kaufpreises durch den Hersteller regelmäßig nicht mehr als die Übermittlung des Kassenzettels per Mail oder Post mit Adresse und Kontodaten. Das Rückgeld soll ja schließlich ankommen. Einfacher geht’s wirklich nicht, wie auch die Sendungsmacher konzedieren mussten: „In der Regel gut und einfach erklärt“, heißt es im Berichtskommentar.
Was denn nun stört an diesem populären Dealverhalten von Millionen Käufern? Das schimmerte leider unüberseh- und hörbar zum ideologiegetränkten Schluss durch. Solche wohlfeilen Deal-Praktiken seien doch – ach wie furchtbar! – nicht zuletzt auch Marketingaktionen zur Kundengewinnung und -bindung. Für diese Banalaussage stand wie üblich ein ebenso wohlfeiler Originalton eines Wirtschaftswissenschaftlers parat.
Hallo in die Redaktion und die Wissenschaft hinein! Schon einmal etwas von Marktwirtschaft gehört? Vom Kunden-, Produkt- und Preiswettbewerb, dem Momentum des Fortschritts sowie aller fair funktionierenden Deals zwischen Produzenten- und Verbraucherwelten!
Warum ein TV-Programm, das selbst von der Reichweite lebt, sich so von der Wirklichkeit seiner eigenen Kunden derart entfernt, ist rätselhaft. Vielleicht, weil „Cashback“ bei Nichtgefallen hier nicht möglich ist?
Trotzdem ist anzuerkennen, dass die zweite Folge der ARD-Verbrauchersendung wenigstens einen deutlichen Anstieg bei der Ausbreitung objektiver Fakten aufweist. Das ist nicht wenig und verdient immerhin ein TOP minus. Wenn es in den weiteren Folgen noch gelingt, den tendenziösen Geist antikapitalistischen Generalverdachts zurückzudrängen, kann es nur besser werden.
FLOP
Trüb & seicht. Die Konjunktur von ökologisch ambitionierten Studien mit wissenschaftlichem Scheincharakter steigert sich offenbar zu einem Overkill, der allmählich seine Kinder frisst. So zum Beispiel nährte sich die Online-Zeitung SZ.de von dem Bericht eines anonym bleibenden Teams einer angeblichen „Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission“ domizilierend im weltbekannten italienischen Provinzort Ispra: Eine tolle Quellenangabe, die allenfalls die Verifizierung zulässt, dass hier wohl Subventionen aus Steuermitteln fließen.
Knallige Überschrift des SZ-Riesenriemens „Der Durst der Fleischindustrie“ – garniert mit dem traumhaften Bild eines Gauchos mit Rinderherde. Message des Vorspanns: „Würden die Europäer auf Fleisch verzichten, könnte sich der Wasserverbrauch der Lebensmittelproduktion halbieren.“
Im Beitrag selbst galoppieren die unbekannt bleibenden Autoren in einer Art Stampede durch die ohnehin stark zertretenen Stereos von Umwelt und Nachhaltigkeit, werfen Regionen, Landwirtschaft, Erzeugerindustrien und Lebensmittelbranchen weit über die Fleischindustrie hinaus bis hin zu Wein, Bier und Speiseöl durcheinander. In der aufgewühlten Staubwolke des Menetekels tritt nur eines als Weisung hervor: Die Europäer müssen ihre Ess- und Trinkgewohnheiten ändern. Natürlich auch beim obligaten Syndrom von Salz und Zucker. Bei rein vegetarischer Lebensweise etwa, so die „Studie“ würden 35 bis 55 Prozent des bestehenden Wasserverbrauchs eingespart. Eine fiktive Ziffer, ebenso ridikül, wie das Phantasiegebilde vom „Wasser-Fußabdruck, der für jedes Lebensmittel angeben soll, wie viel Wasser für die Produktion verbraucht wurde“ (SZ).
Man könnte mit Schulterzucken über eine derartige Veröffentlichung hinweggehen, wenn sie nicht symptomatisch wäre, für die Durchdringung redaktioneller Berichterstattung sogar von Leitmedien durch die Studieninflation von mysteriösen, volkspädagogischen, selten ideologiefreien, aber meist subventionierten Instituten, Organisationen und Personen.
Wetten, dass der fragliche SZ-Beitrag nicht der einzige dieser Genese bleiben wird. Solche informelle Kontamination aber ist FLOP, und zwar für alle.
TREND
„Es geht derzeit um eine gewaltige Infragestellung des Journalismus. Dies gilt gerade auch für die ökologische Berichterstattung.“ – Albrecht von Lucke, Politikwissenschaftler und Publizist auf dem 5. Mediendialog Lebensmittel, 13. September 2018 in Berlin.