Über die nachhaltige Vernunft von Bürgervoten und die Gegenpropaganda der Angstmacher. Der Presse-Querschnitt der Woche von Heinz Klaus Mertes.
TOP
Am 23. September fand sie nun statt die europaweit mit Spannung beachtete Volksabstimmung in der Schweiz, die im Ergebnis einem offensiv daher kommenden, aber in der Sache einem rückwärtsgewandten NGO-Foodbündnis die Grenzen aufzeigte. Zur Entscheidung stand eine gebündelte Kampagne einer Fair-Food-Initiative und einer Initiative für Ernährungssouveränität. Hauptziel der Kampagnenallianz waren Strafzölle, mit denen der Import von Lebensmitteln aus dem Ausland drastisch verteuert, erschwert bis blockiert werden sollte (vgl. Medien-Querschnitt KW 38).
Die Schweizer Bürger sagten überzeugend „Nein“ zu der doppelten Abschottungsinitiative, die wohl in wenig zufälligem Gleichklang als Fair-Trade-Bananenflanke aus Deutschland daher kam, wobei man unter anderem das BIO-Siegel zugunsten von Produkten außerhalb Europas preisgeben wollte. Nach einem eher coolen, aber gründlichen öffentlichen Diskurs scheiterte mit 63 Prozent Neinstimmen die Fair-Food-Initiative und mit rund 70 Prozent Neinstimmen die Initiative für Ernährungssouveränität. Diese verlangte unter anderem „faire und gerechte Preise und Gehälter im Agrar- und Lebensmittelsektor“ sowie ein Verbot von Gentechnik und anderen Technologien. Nach einem seriös ausgetragenen öffentlichen Abstimmungsvorlauf setzte sich eidgenössischer Realitäts- und Bürgersinn durch, der unter anderem darauf hinwies, eine Annahme der beiden protektionistischen Initiativen würde zu einem deutlichen Anstieg der Verbraucherpreise für Nahrungsmittel führen. Selbstbewusst und bündig denn auch der Trend der Leser-Response in den Zeitungen. Typische Stimme:
„Die SchweizerInnen haben eine lange Tradition von Volksentscheiden und wissen sehr wohl um die langfristigen Folgen von Entscheidungen.“
Wenn sich in Bürgervoten perspektivische Nachhaltigkeit durchsetzt gegenüber kurzfristigem realitätsfernem Aktionismus, dann dient das dem Gemeinwohl und verdient ein TOP.
FLOP
Angstmache & Verdrehung. Dass es nicht nur in der deutschen, sondern in der gesamten Nachhaltigkeitswelt von eschatologischen Perspektiven nur so wimmelt, weiß jeder Medienkonsument, der mit Beiträgen über den Nieder-bis Untergang von Mutter Erde etwa durch falsche Ernährung überschüttet wird. Mal ist das Fleisch zu fleischig, der Zucker zu süß, das Salz zu salzig, Milch zu kuhig und vieles andere mehr. Das Gewürz, das solchen Themenkampagnen reichlich beigemischt wird, ist weithin aktivistische Angstmache. Den ungenierten Versuch, diesen Trend anderen in die Schuhe zu schieben, um eigenes Versagen zu übertünchen, offenbarten jetzt jene aktivistische Food-Organisationen in der Schweiz, die bei der geschilderten Volksabstimmung mit Zwei-Drittel-Gegenmehrheit, das heißt ohne Glanz und Gloria, durchfielen.
Bis Ende August hatten Umfragen noch eine Mehrheit für die beiden Vorstöße regelrechte Euphorie bei den Aktivisten ausgelöst. Jetzt ist der Katzenjammer entsprechend groß, noch größer aber offenbar die Unbelehrbarkeit, obwohl die Lektion der Bürger an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lässt.
Denn dass die unterlegenen Kampagnenorganisationen den Meinungsumschwung nunmehr ausgerechnet auf eine „Angstkampagne“ zurückzuführen versuchen, ist nicht ohne Ironie und Chuzpe, zählen doch sie zu den Drohströmungen, die ansonsten gerne die verderbliche Irrfahrt menschlicher Ernährungszivilisation beschwören. Richtig ist vielmehr, dass sich in einem fair und seriös ausgetragenen öffentlichen Abstimmungsvorlauf eidgenössischer Realitäts- und Bürgersinn durchsetzten. So dominiert auch hier gelassenes Bürgerecho in den Medien, die sich gegen die verdrehende NGO-Angstpropaganda wenden:
„Meine Schweizer BekanntInnen sahen das nun mal nicht so.“
„Dass hier Angst treibende Elemente die Entscheidung prägten, ist eine äußerst schwache Begründung.“
In der Tat: Der Versuch, angesichts besonnener Bürgervoten den Spieß der Angstmacherei umzudrehen, ist ein höchst durchsichtiges Davonrennen vor der Realität. Vor allem aber: Wer sich fortdauernd auf den „non-gouvernementalen“ Volkswillen beruft, diesen aber nicht ertragen kann, sobald der sich demokratisch manifestiert, decouvriert sich als rechthaberisch und bürgerverachtend. FLOP.
TREND
Aufbauend und im Kommen scheint das Korrektiv, dass es letzten Endes immer die Endkunden oder Endverbraucher oder ganz einfach Mitbürger sind, die inmitten floppender Predigerperistaltik bei Ernährung und Lebensmittel nachhaltig Richtung und Erfolg bestimmen – für das, was nach eigener Einschätzung gut tut – ihnen selbst und nicht zuletzt der Volkswirtschaft.