Über die Fülle an Food-Publizistik, die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Ernährungswirtschaft und bigotte mediale Profitsuche. Der Presse-Querschnitt der Woche von Heinz Klaus Mertes.
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Verdienen & verstehen. Die Lebensweisheit „Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen“ ist bekannt und zur Abwechslung sogar mal nicht umstritten in unserer ansonsten meist aufgeregten, kunterbunt kontroversen Mediengesellschaft.
Ein Beleg dafür bietet die überreiche Fülle an „Special-Interest“-Magazinen und Publikationen – Print und Online –, in TV und Radio; keine Tageszeitung kommt an entsprechenden Rubriken oder Sonderbeilagen vorbei, gar nicht zu reden von den allpräsenten Kochrezepten und Gastrokritiken im informativen Dienste einer gesunden, wohlschmeckenden Ernährung und der damit verbundenen Lebensfreude. Eine einfache Google-Suche etwa nach Publikumszeitschriften dieses Genres befördert auf einen Klick gut hundert farbenprächtige Periodika-Titel auf den Screen. Zu beziehen im Abo oder zu kaufen am Kiosk zu ganz gehörigen Preisen – ein gewaltiger Umsatzträger, an dem sich Verlage und Grossisten, Druckereien, Softwarehäuser, Werbeagenturen und nicht zuletzt Journalisten millionen- bis milliardenschwer laben.
Vom Stern-Verlag Gruner + Jahr wird derzeit gerade ein neues Feinschmecker-Magazin auf den Markt gebracht, das unter dem Titel „B-EAT“ seinen Platz in der dichten publizistischen und kommerziellen Konkurrenz sucht. Das pfundschwere, fotodominante Magazin (sechs Ausgaben jährlich, Abo-Preis 41,40 Euro) soll laut Promotion nicht nur „Gourmets auf Expertenniveau ansprechen, sondern auch diejenigen, die sich einfach nur für gutes Essen & Trinken interessieren und Genießer sind“, also querab jedermann.
Mindestens so wichtig wie die Abo-Erlöse ist bei solchen medialen Hervorbringungen indes die Refinanzierung qua Anzeigenaufkommen. Von wem wohl erhofft und wie erbracht? Wie sonst, als durch Werbeinvestitionen der von denselben Blättern dauerrezensierten Ernährungs- und Gastroindustrie. Das wirklich Schöne dabei: Hier funktioniert ein vorbildlicher marktwirtschaftlicher Regelkreis, den ein prominenter deutscher Agenturchef so zusammenfasste: „Wenn ein Heft nicht gelesen wird, dann ist es auch nicht interessant für Anzeigenkunden. Wenn die Leser sich aber entscheiden, dass B-EAT ihr Leben bereichert, dann werden sie es kaufen und damit ist das Magazin auch interessant für den Anzeigenmarkt.“
Hoppla – so einfach also geht Erfolg in Wettbewerb und Marktwirtschaft: Produkte haben zur „Lebensbereicherung“ beizutragen und sich möglichst „nah bei den Menschen“ durchzusetzen – so wie Qualität und Akzeptanz von Ernährungsprodukten täglich in den zigtausend Supermärkten der Republik. Unversehens also gleichen sich hinsichtlich Konkurrenzdruck und Kundenorientierung auf einmal Medien- und Lebensmittelindustrie. Das könnte bei aller gebotenen Distanz helfen, einander besser zu verstehen und fundiert miteinander umzugehen, das wäre TOP.
FLOP
Profitabel & bigott. Von 2013 bis 2017 erhöhten sich die Ausgaben der Verbraucher im Lebensmitteleinzelhandel und Drogeriemärkten von 166,6 Milliarden auf 187,5 Milliarden Euro. Ende laufenden Jahres dürfte die 200-Milliarden-Euroschwelle touchiert werden. Mit ihren 5,4 Millionen Beschäftigten gehört die Lebensmittelbranche zu den bedeutenden Arbeitgebern und den größten Industrie-, Handels- und Handwerkszweigen Deutschlands, nicht einmal eingerechnet die indirekten Wirtschafts- und Wachstumsimpulse für außenstehende Branchen wie Logistik- und Kreativwirtschaft (siehe oben).
Wer so inmitten nicht nur von Volkswirtschaft und Bruttosozialprodukt steht, sondern auch der Lebensqualität der modernen Gesellschaft, darf sich weder wundern noch beklagen, dass er unter steter kritischer medialer und politischer Beleuchtung steht. Anderen Querschnittsbranchen, die mit ihren Produkten und Dienstleistungen ins Nervenzentrum der Lebensführung und -planung von Millionen zielen wie etwa das Versicherungswesen, geht es nicht anders. Da es aber auch um die schlüsselhafte Bedeutung für den Wirtschaftsstandort Deutschland geht, nimmt dann doch wunder, wie man weithin bedenkenlos zu gern im wohlig-lauen Trendmilieu eines antikapitalistischen Mainstreams badet und mit der bekannt fürsorglichen Verbraucherpädagogik überkommt. Woche für Woche glauben mediale Ratgeber vor der Übermacht und den „Tricks“ der Lebensmittelindustrie und Supermärkten warnen zu müssen und dies durchaus nicht selten ziemlich doppelstrategisch.
So schlug kürzlich der Stern in einem Riesenriemen unter der Fanalüberschrift „So kontrollieren wenige Konzerne, was wir essen“ mit den seit Jahren ausgelutschten Stichworten auf. Die Illustrierte erscheint bekanntlich bei Gruner + Jahr in Hamburg, dem gleichen Verlag, der mit insgesamt mehreren Food-Magazinen von dem Fleischeslust-Magazin „Beef“ bis zum „Chefkoch“ Umsätze macht und weiter ausbauen will (siehe TOP-Meldung oben). Das sei ja genehmigt, aber etwas mehr durchgängiges journalistisches Qualitätsniveau in der Verlagshorizontalen wäre der Marktreichweite gewiss keineswegs abträglich. Profitieren aber würde auf jeden Fall die Glaubwürdigkeit der ausgebreiteten Foodstories und -informationen beim Lesepublikum und nicht nur kulinarischen Verbrauchern.
Deshalb: Geschäfte rund ums Essen und Trinken zu machen, ist aller Ehren wert. Sich aber im NGO-Gleichklang zugleich auf den trendigen Feldzug gegen das zu begeben, was Profit bringt, ist einfach bigott. FLOP.
TREND
Diese Erkenntnis wird auf Dauer an Boden gewinnen: Die Querschnittsindustrie Ernährungswirtschaft braucht aufmerksame und auch kritische öffentliche Begleitung. Je sachorientierter, vorurteilsfreier und vor allem ehrlicher diese ist, desto bekömmlicher für den Wirtschaftsstandort Deutschland und für jene, die hier leben, essen und trinken.