Über die mediale Besinnung zum Erntedankfest 2018, den Standard zwischen journalistischen Reports, hymnischen Gourmet-Kommentaren und angemessenen Lebensmittelpreisen. Der Presse-Querschnitt der Woche von Heinz Klaus Mertes.
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Preisfrage: Was schätzen Sie, wie viele Presseveröffentlichungen zum Thema Ernährung es gab zum traditionellen kulturhistorischen Erntedankfest jetzt am ersten Oktobersonntag des profanen Jahres 2018? Die bundesweite Aufstellung des Research-Netzwerks Genios führt 2.630 (!) Titel auf. Mit einem Themenspektrum von Landwirtschaft über Brauchtum und Sitte. Selbst diese Erfassung dürfte nicht vollständig sein. Von der Landwirtschaft mit ihren Früchten des Feldes führten die Beiträge in mehr als der Hälfte direkt in die Jetztzeit der modernen Zivilisation von Ernährung und Lebensmitteln heute.
Der Tradition dieses Besinnungstages folgend, bestimmte einmal nicht der medienübliche Food-Alarmismus über das bedrohliche Zuviel an Lebensmitteln und die krankmachende Üppigkeit auf den Speiseplänen der Bevölkerung von Mutter Erde die Medienmelodie. Vielmehr wehte ein Art Hauch der Dankbarkeit über Stadt und Land, in so einer guten Zeit zu leben, in der zumindest in unseren Breiten nicht mehr das Regime des Hungers die Nahrungslage beherrscht; sondern eine hochwertige Fülle, die es den Verbrauchern ermöglicht, souverän nach ihrem Gusto zu leben mit Erzeugnissen, die dank Wissenschaft und Hochtechnologie immer abwechslungsreicher, nachhaltiger, gesünder auf die Tische der Vielen gelangen.
Überregional trat die Berichterstattung der WELT AM SONNTAG zum Erntedank hervor. Die Titelseite mit dem Foto eines dunkelroten Steakbrockens unter der Headline „Der Preis des Fleisches“ ließ zunächst befürchten, an die bekannte Themenleine von klischeehaften Stereos von Vorurteilen genommen zu werden. Es kam aber anders mit dem Aufmacherreport im Wirtschaftsteil ab Seite 31. Über rund 400 Zeilen erstreckte sich eine fundierte journalistische Aufarbeitung der Drehmomente zwischen erzeugender Landwirtschaft, vielfältiger Industriebetriebe und den Lieferketten, die sodann die Erzeugnisse zu den Verbrauchern bringen – in die Regale der Märkte und online. Eine exzellente journalistische Leistung: Keineswegs unkritisch, globale Interdependenzen und Zielkonflikte nicht vernachlässigend; dies aber durchweg so fundiert und differenziert, dass sich die einzigartige Wertschöpfungskette der Ernährungswirtschaft abbildet. TOP.
FLOP
Der Preistest für Lebensmittel ist hart. Jeden Tag findet er statt – ganz vorne in tausenden Geschäften, wenn Kunden an der Kasse ihren Geldbeutel aufmachen oder die Kreditkarte zücken. Gutverdienenden Verbraucherfunktionären und sonstigen Dauerrezensenten von Lebensmittelhandel und -wirtschaft außerhalb solcher Preiskonkurrenz scheinen erstaunlicherweise diese marktwirtschaftlichen Konsumentenvorteile für Verbraucher weniger zu schmecken. Immer wieder ertönen aktivistische Appelle, Lebensmittel seien zu günstig zu haben und müssten teurer werden. Diese Welle führt zu seltsamen Phänomenen. So findet sich in der – wegen ihres Ernährungsreports im Wirtschaftsteil oben gelobten WELT AM SONNTAG – ganz vorne auf Seite 2 ein kurioser Chefkommentar. Darin eine zungenschnalzende hymnische Hommage an den Verzehr eines köstlichen Hühnchens bis auf dessen abgefieselte Knöchlein. Bei der Ehefrau nach dem Einkaufspreis des lukullischen Wunderhahns gefragt, blieb dem schmausenden Hausvater allerdings der Mund prompt offenstehen: Fast dreißig Euro.
Also bitte nichts gegen gourmethafte Aufschwünge für den, der’s mag. Aber Normalverdiener-Haushalte werden ein kaum weniger wohlschmeckendes, aber preiswerteres Hähnchen unter zehn 10 Euro eher zu schätzen wissen.
Und dennoch ist dieses persönliche Einzelfeuilleton ein typisches Phänomen weitverbreiteter Hochpreispropaganda in der Allianz von Food-Consumerismus und tendenziösem Expertentum. So berichtet nicht nur die SZ von einer 39-seitigen „Studie“ an der Uni Augsburg unter dem schicken Titel „How much is the dish?“, die unter anderem zu der Aussage hochtürmte, konventionell erzeugtes Fleisch müsse „in etwa das Dreifache dessen kosten, was man an der Ladentheke dafür zahlt“. Bezeichnenderweise übernahm ein Eventveranstalter mit dem hübschen Namen „Tollwood“ diese wissenschaftliche Augsburger Suppenkiste in ihr Programm.
Derartige monotone Forderungen kennt man hinlänglich aus Sprechzetteln und Preiserhöhungskampagnen von Foodwatching- und NGO-Kreisen – von Steaks bis Schulmilch. Weil es ja auch so in der Zeitung steht. FLOP.
TREND
Der marktwirtschaftliche Auftrag der Ernährungswirtschaft, der Konsumgesellschaft Lebensmittel in angemessener Qualität zu angemessenen Preisen zur Verfügung zu stellen, ist auch sozial unabkömmlich geboten. So wird sich gegenüber ideologischer Preistreiberei auch das reale Konsumverhalten weiter durchsetzen, das von dem magischen Dreieck aus Qualität, Gesundheit und persönlicher Wertschätzung bestimmt wird.