Warum hat Foodwatch keine Kassenprüfer? Und warum essenzielle Wirtschaftsbranchen es schwer haben, beliebt zu sein. Die aktuelle Medien-Kolumne von Heinz Klaus Mertes.
Am Samstag, den 17. November 2018 nachmittags, hätte sich eigentlich der mediale Blick Food-Deutschlands auf Berlin, Brunnenstraße 181, richten müssen, genauer gesagt auf den Sitzungsraum des Foodwatch-Büros. Geschah aber nicht, obwohl der eingetragene Verein, der sich in der Unterzeile publizitätsträchtig „die Essensretter“ nennt, seine Jahresmitgliederversammlung 2018 abhielt. Keine TV-Kameras oder wenigstens Handykameras für einen Instagram-Selfiespot, keine sich drängenden Presseleute, die sonst so begierig von hier jeder Botschaft und vor allem Alarmäußerung in dieser ernährungsbewegten Zeit Reichweite zu geben. Erstaunlich die Nichtbeachtung, wo doch der Berliner Verein nach eigenen Angaben allein in Deutschland mit mehr als 30.000 Mitgliedern und Förderern sowie internationalen Verbindungen eine kommunikative Macht darstellt.
Nur sehr wenige Mitglieder stimmberechtigt
Doch die Resonanz um die Mitgliederversammlung, die in jedem eingetragenen und dazu noch gemeinnützig anerkannten Verein zum Jahreshöhepunkt gehört, wie die Hauptversammlung eines Unternehmens, blieb aus. Nicht verwunderlich: Denn die mit der Einladung an etwa 75 ausgewählte stimmberechtigte Mitglieder verschickte und ansonsten im fülligen Internetauftritt versteckte Tagesordnung lässt vermissen, was bei jedem Miniverein heutzutage zur Regel gehört; zumindest, wenn dieser sich ein Mindestmaß an Transparenz gegenüber Mitgliedern und auch Öffentlichkeit verpflichtet fühlt.
Nichts dergleichen in Berlin-Mitte. Stattdessen in den rund drei Nachmittagsstunden inklusive Kaffeepause ein Routineablauf, der allerdings den vereinsrechtliche obligatorischen Punkt „Bericht der Geschäftsführung“ vermissen ließ und stattdessen das Reporting eines diffus bleibenden „Foodwatch-Teams“ den Mitgliedern offerierte. Die zwingende Entlastung des allein waltenden Geschäftsführers durch die Mitglieder sieht die Tagesordnung ebenso wenig vor, wie etwa einen Rechnungsprüfungsbericht – in anderen Vereinen eine heilige Pflicht unabhängiger Kassenprüfer. Für eine Institution, die sich vor allem aus Spenden finanziert, eigentlich ein unumstößliches Muss seriösen Gebarens zur Vertrauenspflege.
Aufsichtsrat oder ein „Inner Circle“?
Ach so, auch die „Wahl des neuen Aufsichtsrats“ stand ganz zum Schluss auf der Agenda; immerhin laut Satzung „die gewählte Vertretung der Mitglieder“. Doch nur wenige Eingeweihte bekamen vorher zu hören oder zu lesen, wer für dieses oberste Aufsichtsgremium auf der Vorschlagsliste steht, das je nach Opportunität aus „drei, fünf oder sieben Personen“ (?) bestehen kann.
Schummelfelder bei Eigentransparenz
Man muss ja nicht gleich wie in Foodwatch-Manier von „Schummelfeldern“ in hochgelobter Eigenttransparenz als Selbstmarketing sprechen. Aber es scheint nicht nur aus Anlass dieser Jahresmitgliederversammlung an der Zeit, dass kompetenter Journalismus einmal die seitenlangen Wortgirlanden hehrer Selbstdarstellung im „Kampf für die Rechte der Verbraucher“ durchsteigen und zu den Merkwürdigkeiten in der Struktur, Willensbildung und transparenter Rechenschaftslegung dieses Vereins vorstößt. Das wäre gewiss ein TOP-Thema, das investigative Exklusivität verspricht und hilfreichen Informationsnutzen in einer wahren Lebensfrage der heutigen Verbrauchergesellschaft sein könnte, nämlich der Ernährung und ihrer Lenker, Ratgeber und Innovatoren.
Wer hinterfragt die Zusammenhänge?
Hier indes scheinen auch weitere publizistische Genres als der spezielle Food-Journalismus und seiner Redaktionen gefragt. Professioneller Wirtschaftsjournalismus etwa hätte wohl das Zeug, die Zusammenhänge zwischen Wirtschaft, Ökologie und Technik, Markt und Verbraucher, Innovation und Produktkultur auf diesem Sektor in Breite und Tiefe zu beleuchten und – natürlich – auch zu hinterfragen. Als Wirtschaftsjournalist mit langer Erfahrungslinie fällt mir auf, dass etwa die volkswirtschaftliche Bedeutung des Ernährungssektors medial nicht diese Hinwendung erfährt wie etwa die Auto- oder Finanzindustrie – und wenn, dann weithin unter der kritischen Konnotierung von der angeblich gefährlichen Ballung globaler Wirtschafts- und Handelsmacht.
Abgesehen davon, dass das strenge Kartellamt etwa bei Fusionen und Übernahmen seinem Wächteramt gerecht wird: Würde es zur Einordnung nicht auch gehören, dass die deutsche Lebensmittelbranche von 700.000 mittelständischen Unternehmen, darunter zahlreichen Familienbetrieben geprägt ist und mit fast sechs Millionen Beschäftigten ein Arbeits-, Berufs- und Karrieremarkt erster Ordnung?
Ernährungsbranche unter ständiger Beobachtung
Es leuchtet ein, dass Lebensmittelproduktion und -handel wegen ihrer besonderen Bedeutung vom „Acker bis zum Teller“ von Millionen Menschen ständiger kritischer Beobachtung und Begleitung unterworfen sind. Hier zeichnet sich ein unter Mediensoziologen, Demoskopen und Marktforschern beobachteter Langzeit-Trend ab. Bei Branchen, deren Geschäftsgrundlage, unverzichtbare, essenzielle Produkte und Dienstleistungen für die Menschen sind, gilt nicht so sehr das Imagekriterium der Beliebtheit, fand Allensbach-Forscherin Renate Köcher heraus. Was vielmehr zählt, so die Schweizer Beratungsgesellschaft Prognos AG in einer Studie für die deutsche Versicherungswirtschaft, sei der gesellschaftliche und öffentliche Respekt, dass der Marktauftrag der Branche professionell und innovativ erfüllt werde. Und an dieser Leistung mangelt es in der Ernährungswirtschaft nicht, wenn auch weithin an diesbezüglicher Anerkennung.
In der konkurrierenden Vielfalt von 170.000 Produkten bei sich wandelnden Ernährungsbedürfnissen sind dynamische Innovationsleistungen unabdingbar für die hochwertige Versorgung von Millionen divergierender Ansprüche und individueller Erwartungen. Sie finden auch statt. Das dokumentieren beispielhaft fast täglich Meldungen in der Branchenpresse – von Fortschritten bei alternativen Süßmitteln bis zu Techniken gegen den Verpackungsmüll und vieles anderen, was beschwert oder gefragt ist.
Magere Wirtschaftsberichterstattung zur Lebensmittelwirtschaft
Außerhalb der Fach- und Branchenpresse finden solche Fortschrittsberichte allerdings nur wenig Eingang in die Publikumsmedien. Möglicherweise weil es leichter ist, ungefähre Trends zu popularisieren als die fachlich fundierte journalistische Substantiierung im konkreten Detail.
Eigentlich schade und eine mediale Flop-Entwicklung; denn das Bekannte ist ja keine Information, sondern allenfalls populistische Redundanz etwa nach dem agitatorischen Foodwatch-Grundgesetzartikel Nummer 1: „Verbraucher werden im Supermarkt täglich getäuscht und verschaukelt“ (Thilo Bode, Foodwatch-Gründer, im Internet-Profil.).
Vertrauensarbeit
Das Lebensmittelgeschäft ist ein schweres, ja hartes Geschäft. Hier haben sich die Unternehmen, deren Management und Mitarbeiter, täglich mit ihrer Leistungs- und Innovationskraft in der realen und hoch sensiblen Begegnung mit den Verbrauchern zu stellen beim Kaufen und beim Verzehr. Die derzeitigen vitalen Innovationsprozesse im Ernährungsbereich zeigen: Kritische, kompetente Begleitung des Marktauftrags, von welcher Seite sie auch kommt, wird als nützlicher Input systematisch wahrgenommen – nicht zuletzt im Sinne möglicher Marktchancen bei sich wandelnden Verbrauchertrends.
Das Zementieren von aggressiven Vorurteilen qua Vereinszweck und deren Propagierung indes schadet allen.
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes ist Medienunternehmer und -berater und ehemaliger Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1 und Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft.
Sehr geehrter Herr Mertens, was Sie hier schildern (fehlende Kassenprüfung, Geschäftsbericht, Entlastung) verstößt gegen das Vereinsrecht?
Warum werden dann die Amtsgerichte nicht tätig?