Medienkolumnist Heinz Klaus Mertes über die Demoskopie und das Vermessen der Zufriedenheit.
Kennen Sie den Glücksatlas Deutschland, der alljährlich breite Berichtswellen schlägt? Wenn nicht, sollten Sie ihn kennenlernen. Wenn das Jahr sich neigt, haben ja solche demoskopischen Vermessungen Hochkonjunktur. Denn das Kalenderjahr wird auf einmal als Ganzes fasslich, was in den hunderten Tagen zuvor im schnellen Fluss vorbeizog.
Da können solche Erhebungen schlussendlich Auskunft geben über Bewusstsein und persönlichen Lebensgefühl der Menschen unter Deutschlands Dächern, ob sie in guten oder nicht so gelingenden Zeiten leben. Oder einfacher gesagt, ob sie sich wohlfühlen., um nicht zu sagen glücklich sind.
Lebenszufriedenheit hoch, aber woher kommt das?
Der von der Deutschen Post gesponserte und statistisch fundierte Glücksatlas für Deutschland gibt es schon länger, und dokumentiert aktuell, und zwar repräsentativ: Die Lebenszufriedenheit der Deutschen bleibt auch 2018 auf einem konstant guten Niveau, was die Studie vorwiegend der stabilen Konjunktur zuschreibt. Eine etwas dünne und abstrakte Begründung, finde ich, für das „gfühlige““ Menschsein insgesamt. Wo bleibt das Leibliche? Wie etwa steht es mit dem körperlich-seelischen Wohl, das auf einer guten, stets verfügbaren Ernährungslage beruht. Einmal von den Glücksmomenten abgesehen, die zum Beispiel nach Verzehr adventlichen Genussreichtums nicht nur trübe Winterrage, sondern auch die Mienen sichtbar aufhellen lassen.
Ernährung als Influencer des Glücks
Auch Glück geht durch den Magen: Kardinalfrage also „Kann man Glück essen?“ – Eindeutig Ja, befindet die Wiener Feuilleton- und Ratgeber-Journalistin Isabel Folie, die mit Lifestyle- Beiträgen der gekonnteren Art, darunter immer wieder Ernährungsthemen, auch die deutsche Medienszene gedruckt und gesendet befruchtet. Jawohl, so die Botschaft etwa in einer SWR-Sendung, man kann sich glücklich essen! Lebensmittel haben einen Einfluss auf unsere Hormone von Serotonin bis Tryptophan und Dormatin. Diese strömen übers Hirn ins Seelenleben und schlussendlich nicht zu vergessen – unsere Darmflora („Darm mit Charme“). Sie sind damit wissenschaftlich bestätigte Influencer des Glücks. Und ja: Auch Schokolade der verschiedenen Süßstufen mache je nach Umständen glücklich.
So komplex die Zusammenhänge glückstiftender oder zumindest miese Laune vertreibender Lebensmittel, Speisen und Rezepte auch sind: Dass bekömmliche, gesunde, dem persönlichen Geschmack und Lebenstil stützende Ernährung nicht nur schnelle Glücksmomente schafft, sondern zur nachhaltigen Zufriedenheit gehört, mag wohl keiner bestreiten. Aufschlussreich zum Beispiel, wie jetzt in der lukullischen Vorweihnachtssaison auch alternative und vegane Rezepte publizistisch kursieren, die etwa den Glückseffekt von Kichererbsen und Nüssen statt Gänsebraten, Marzipan und vielem anderen mehr hervorheben. Alles das, was die Glücksappetenz begehrt, hält die deutsche Lebensmittellandschaft ja top-parat in Supermärkten, Spezialgeschäften und auf Online-Klick.
Die Ernährungslücke im Glücksatlas
Warum also nichts von dieser TOP-Situation im Glücksatlas, der aktuell seine weitverbreitete alljährliche Urständ feiert? Auch nichts davon in der hoch amtlichen Dokumentation der Bundesregierung, die naturgemäß die Glücksfaktoren ihrer Bürger (und Wähler) vital interessieren muss. So wurde unter dem Titel „Gut leben in Deutschland“ vergangenes Jahr auf der Basis bundesweiten Dialogkampagne mit Tausenden Bürgerinnen und Bürgern in 12 Kategorien die Lebenszufriedenheit im Lande millimetergenau vermessen. Der elementare und existenzielle Komplex Ernährung aber wurde nur gerade so ein bisschen am Rande gestreift, und zwar unter dem wenig aufheiternden Stichwort „Fettleibigkeit“, was einen unterbelichtenden Flop darstellt.
Höchst erstaunlich diese Studienlücke, wenn man sich vor Augen hält, dass der ständige mediale Aufruhr, was wir essen sollen oder nicht dürfen, schlechthin das Megathema unserer gesellschaftlichen und politischen Zivilisation ist – ja hin bis zu dem verschärften Sterblichkeitsrisiko von Mensch und Umwelt. Man vergegenwärtige sich nur die täglichen Schlagzeilen und Kommentare.
Wo Zufriedenheit, da minimieren sich demoskopischen Klagen
Die Erklärung, warum dieser Alarmismus im realen Zufriedenheitsempfinden der Menschen nicht zündet, mag eine andere Erhebung liefern, nämlich eine Allensbach-Umfrage in der gesellschaftlich hochrelevanten wirtschaftsaktiven „Generation der Mitte“. Dabei tritt folgende demoskopische Erfahrung zu Tage: Wo Grundzufriedenheit herrscht wie repräsentativ hierzulande dokumentiert, minimiert sich die Veränderungslust als Folge eines konkret empfundenen Defizits samt Wunsch- und Mängelliste. Auf gut Deutsch: So, wie es ist, passt es. Und macht Appetit. Trotz vielfachem unkenrufigen Medienklima also – der Zufriedenheitspegel in Sachen Ernährung stimmt in Deutschland offenbar.
Vorschlag deshalb: Der „Glücksatlas“ sollte dieser Dimension doch im kommenden Jahr in einem seiner Specials nachgehen, diese jedenfalls nicht auslassen. Vielleicht entspannt das manche ideologiegetriebene Kontroverse und Malaiseberichterstattung ums Essen und Ernähren hierzulande. Was nun wahrlich ein weiteres Glücksmoment öffentlicher Befindlichkeit und Stimmungslage wäre; nicht nur TOP für jene, die in der Ernährungswirtschaft ihr Glück durch Markterfolg und Kundenbestätigung suchen, sondern aufschlussreich für alle.
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes, Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik, ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft.