Über „das ambitionierteste industriepolitische Projekt seit Jahrzehnten“ und darüber, warum entstehende Lösungsansätze der Ernährungswirtschaft beim Thema Digitalisierung anregend bis modellhaft sein können. Die aktuelle Medien-Kolumne von Heinz Klaus Mertes.
Digital-Gipfel 2018: Wo bleibt der digitale Fortschritt?
Von hoch droben kam sie her – die Botschaft zum Digital-Gipfel der Bundesregierung diese Woche in Nürnberg mit Kanzlerin, Ministern und sonstigen Größen aus Wirtschaft und Wissenschaft – adressiert von dem deutschen Astronauten Alexander Gerst auf der rundum digitalisierten Raumstation IS. Drunten freilich in der Erdenschwere des Standorts Deutschland, so die durchgängige mediale Begleitmusik des Nürnberger Summits, geht der digitale Fortschritt nur schwerfüßig und eher interruptiv ächzend voran. Und dies, obwohl man schon seit Jahren mit verbal dringlichen Commitments den digitalen Zukunftshimmel über wolkige Vorsätze hinaus zum Erfolg zu bringen suchte.
Digitalisierung: Alle Wirtschaftszweige sind betroffen
Das gehe, so die programmatische Ansage des Bundeswirtschaftsministers jetzt in Nürnberg, nur im Zuge einer größer dimensionierten Industriepolitik als bisher. „Längst läuft ein globales Wettrennen“, kommentierte die Süddeutsche Zeitung im Verbund einhelliger Gipfelbefunde insgesamt, „das kaum einen Wirtschaftszweig unberührt“ lasse.
Digitalisierung in der Ernährungswirtschaft
Natürlich auch die Ernährungswirtschaft nicht. Erst recht diese nicht, muss man eigentlich sagen, mit ihren hoch differenzierten Erzeugnissen sowie der steten Versorgung von Millionen Haushalten über ein globales Netz von Lieferwegen bis zu Einkaufsmöglichkeiten vor der Haustür und zunehmend auch dahinter.
Das klappt täglich, weil es täglich klappen muss. Und das effizient dadurch, dass zwingend die Pace um die Nutzung der digitalen Möglichkeiten kontinuierlich vorangetrieben wird.
Wie betrachten die Medien das Thema Industrie 4.0?
In der medialen Betrachtung der Industrie 4.0 herrschen meist Industriezweige wie Medizintechnik, automobile Intelligenz und roboterhafte Fertigungstechnik vor – aus Politik und Sozialforschung öfters auch als Stoff von zeitgenössischen Angstvisionen beschworen. Dabei bietet speziell der Ernährungssektor geradezu pilotierende Erfolgsbeispiele für gelingenden digitalen Wandel. Darüber liest, hört und sieht man relativ wenig in Mediendeutschland; und wenn, dann eher in der schrägen Projektion unsichtbarer digitaler Machtnetze, die manipulierend über die verführbaren Verbraucher geworfen würden.
Gute Beispiele…
Eine publizistische Quelle, deren Ausschöpfung für das Informationsklima von beträchtlichem und einfach zu erlangendem Nutzwert sein könnte, sei hier genannt. Nicht, weil sie gerade ihr 70-jähriges Bestehen begehen kann, sondern weil sie kontinuierlich das enorme Spektrum der digitalen Transformation auf dem Ernährungssektor abbildet. Es ist die Lebensmittel Zeitung (LZ) – ein Branchenmedium fürwahr. Aber eines, das seinesgleichen in Deutschland sucht: Multimedial aufgestellt mit sämtlichen Formaten und Websites für die ständige, natürlich auch digital-mobile Vermittlung von Nachrichten, Themen, Daten, Trends und Hintergründen, bildet sie ein TOP-Wirtschaftsforum von Food bis Non-Food bis hin zu IT und Logistik mit relevanten Einblicken und Piloterfahrungen, wie die sogenannte digitale Transformation von Unternehmen und Mitarbeitern markt- und kundenorientiert zu meistern ist.
Bleiben wir nur einmal kurz bei dem schon angeschnittenen Themenfeld der Logistik – eine ständige LZ-Hauptrubrik, in der reportiert, analysiert und kommentiert wird, wie die nachgefragten Warensortimente auf möglichst kurzen und energiesparenden Wegen zu der Millionen-Verbraucherschaft gelangen. Und aber auch, wie etwa Lebensmittelvergeudung und Müllverringerung zu managen sowie Qualitätssicherung und nachhaltige Verbraucherinformationen zu optimieren sind.
Wie rege die branchenweiten Digitalisierungsanstrengungen umeinander gehen, mag eine kursorische Überschriftenauswahl der Web-Ergebnisse aus letzter Zeit auf Google widerspiegeln: „Ernährungswirtschaft und Digitalisierung“ unter den ungefähr 47.000 Fundstellen beleuchten:
- Digitale Transformation in der Ernährungswirtschaft – Zentrum Digitalisierung Bayern
- Digitalisierung in Land- und Ernährungswirtschaft – Die bayerische Wirtschaft (vbw)
- Digitale Transformation in der Ernährungswirtschaft – Cluster Ernährung
- Die smarte Fabrik – Digitalisierung und digitale Transformation in KMU – Cluster Ernährungswirtschaft Brandenburg
- Wie Digitalisierung die Zukunft der Ernährungswirtschaft (mit)gestaltet – Deutscher Landwirtschaftsverlag (dlv)
- Vom Acker bis zum Teller – Die vierte industrielle Revolution hat begonnen – Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE)
- Digitalisierung in der Land- und Ernährungswirtschaft nutzt auch Verbrauchern – Deutscher Bauernverband (DBV)
Es wird deutlich: Auch die Ernährungswirtschaft, insbesondere nicht zuletzt die vielen tausend mittelgroßen Unternehmen dieser Branche, steht unter dem Druck und der Herausforderung, den digitalen Wandel nicht nur zu bewältigen, sonder innovativ und kundenorientiert zu nutzen. Dazu gibt es jeden Tag mehr und mehr Anstöße.
Schlechte Beispiele…
Unerklärlicherweise allerdings kommt auch bei diesem respektablen, zum Teil sogar bahnbrechenden digital-logistischen Progressaustausch so manche interruptive Berichterstattung nicht vom Fleck. So leistet es sich Foodwatch, wohl mangels eigener substanziellen Kompetenz, die digitalen Anstrengungen anderer ins Lächerliche oder in den Ruch verbraucherpolitischen Sittenverderbnisses zu ziehen. Ich empfehle – zwar ungern, aber zur Verifizierung solcher FLOPs und dem Informationszweck dienend – den Google-Click unter dem Suchbegriff „Foodwatch zur Digitalisierung“. Fazit: Jeder präsentiere sich zu Richtungsfragen, wie er will oder es nicht besser kann. Dazu die SZ lakonisch: „So wird das nichts.“
Gefragt ist branchenübergreifende Kompetenz und Betrachtung
Wenn aber die digitalen Gipfelbotschaften aus dem All und dem Regierungsorbit fruchten sollen, wäre schon Aktivismus gefragt, aber für eine gebotene Trendumkehr nicht gegen, sondern für „das ambitionierteste industriepolitische Projekt seit Jahrzehnten“ (Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier) und dessen erfolgreiche Gestaltung. Statt der Verbreitung von Visionen einerseits und populistischen Verrissen andererseits heißt das gerade auch für die mediale Begleitung: Bitte Hinschauen auf vorhandene oder entstehende Lösungskonzepte, die – wie zum Beispiel in der Ernährungswirtschaft – anregend bis modellhaft sein können. Die SZ schrieb in ihrem Abschlusskommentar zum Digital-Gipfel: „Nein, die Bundesrepublik ist nicht der digitale Vorreiter. Aber es gibt auch hier viele spannende Gründungen.“ Kommunikation ist bekanntlich nicht alles, aber ohne Kommunikation ist auch hier alles nichts.
Digitalisierung findet ja bekanntlich statt als branchenunabhängiger Querschnitt des Fortschritts. TREND also ist: Jeder Sektor kann, jeder muss von dem anderen lernen. Wie der Kirchenlehrer und Philosoph Augustinus sagte: „Alles hängt mit allem zusammen.“
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes, Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik, ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft.