Eine ZDF-Dokumentation kündigte mitten in die Grüne Woche hinein zur besten Sendezeit einen investigativen Knaller über die Lebensmittelindustrie an. Heraus kam eher ein Schuss ins eigene Programmknie. Eine Medienkritik von Heinz Klaus Mertes.
Nein, so richtig verderben konnte die ZDFzeit-„Dokumentation“ zur Spitzensendezeit um 20.15 Uhr am 22. Januar die Stimmung inmitten der Grünen Woche nicht. Obwohl der in den Ankündigungen mächtig promotete Sendetitel „Die Tricks der Lebensmittelindustrie“ die aggressive Tendenz der Programmmacher offenbarte.
So eifrig zum Zwecke der Quotenmobilisierung eine mutige investigative Aura verströmt wurde, die Quote der Sendung war mit 10,9 Prozent Marktanteil mäßig und fiel im Verlauf ihrer 45 Minuten deutlich ab. Aber dank bester Primetime waren es in absoluten Zahlen dann durchschnittlich doch immer noch 3,52 Mio. Zuschauer, die Orientierung suchten. Keine Kleinigkeit. Deshalb sei es erlaubt, einmal anhand dieses einzelnen, aber hervorstechenden nationalen Programmevents als eine Art Fallbeispiel zu zeigen, wie Meinungsklima entsteht.
Bild schlägt Wort – die „Entlarvung“ scheitert
Die gegenüber vorurteilsgewürzter Stimmungsmache abgehärtete Lebensmittelindustrie kann dem Stück wegen verschiedener indirekter Effekte womöglich sogar noch etwas abgewinnen. Denn was als Entlarvung der „miesen Tricks“ (Programminfo) angeboten wurde, stand dank bestechender Reportagebilder aus der hochtechnologischen Welt innovativer, hygienischer Lebensmittelproduktion in überwältigendem Gegensatz zu den verbalen Moderationstönen eines sich überwitzig gebenden Präsentators.
Sendestaffel als mediale Tendenz- Zentrifuge
Dessen Versuchsanordnungen im Eigenbau gemahnten dem gegenüber, wie das Magazin Focus kommentierte, mehr einem maschinellen Sammelsurium aus Betonmischer und Spinnrad, wo dann ohne Mundbinde, unbemützt, unbehandschuht in den Erzeugnissen herumgefingert wurde. Man muss diesen Flop einmal schonungslos ansprechen, um redaktionell Verantwortliche meinungsprägender nationaler Sender zum Nachdenken zu veranlassen, ob sie mit solcherart Infotainement-Flop ihre Zuschauer im angeblichen Dienste der Verbraucheraufklärung verastern wollen.
Per Saldo ging der moderierende Chefaufklärer – per Insert als „Lebensmittelentwickler“ gehypt – dann schließlich vom schnatternden Dur ins gebremste Moll über, weil er weder geheime, noch unerlaubte „Tricks“ entlarvt hatte, sondern gelingende Technologie und Geschmacksfreude überkam, wie sogar die beigezogenen Testpersonen lässig zu Protokoll gaben. Wenn die Sendung also dank bildlicher Impressionen an vorurteilserfüllender Fakewirkung vorbeischlitterte, fragt man sich dann doch, warum Programmverantwortliche mit den Sendetiteln und -ankündigungen so irreführend aufheizend in die Vollen gehen.
Man beachte: Bei den so tendenziös getauften „Tricks der Lebensmittelindustrie“ handelt es sich um eine Staffel von insgesamt sieben Folgen, (Folgenpreis rund 300.000 Euro), deren einhämmernder Serientitel samt Videothek- Dauerpräsenz und Querpromotion in eigenen Sendungen und in YouTube naturgemäß vielfache mediale Ansteckungswirkung zeigt – eine regelrechte Zentrifuge auch in die Online- und Printmedien hinein und zudem Berufungsquelle für aktionistische Vereinfacher auf dem wirtschaftlich und sozial hochrelevanten Ernährungssektor.
So entstehen mediale Trends, so entsteht Meinungsklima.
Investitionen in Qualität bedeuten Rendite für alle
Ach ja, noch eines: Auf der Grünen Woche gewinnen dieser Tage rund 50.000 Besucher authentische Direkteinblicke in die innovativen Leistungen der Lebensmittelproduktion, wobei es zudem an begleitender fachlicher Excellenz und Kompetenz nur so wimmelt. In der ZDF-Sendung namens „:zeit“ inmitten dieses greifbaren aktuellen Geschehens begnügte man sich indes vorwiegend mit den Statementaufzeichnungen einer lokalen Verbraucherschützerin. Deren Beitrag zur Trick-Entlarvung bestand im Wesentlichen in dem mäkelnden Hinweis, dass die gezeigten Industrieinvestitionen zu Qualitätsoptimierungen nicht selten auch unter Kostenerwägungen vollzogen würden.
Ja und? Das ist doch wohl eine rechtschaffene Grundlage gerade auch für preisbewusste Verbraucher – ein Top-Ansatz.
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Mertes ist Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik.