Warum setzt der ökomediale Komplex bei Lebensmitteln beharrlich auf eine Preisspirale nach oben? Stimmige Preisbildung ist Herzstück erfolgreichen Wirtschaftens und Wettbewerbs, bei dem die Verbraucher die Macht haben. An der Ladenkasse und in den Verzehrgewohnheiten. Den pädagogischen Preisknüppel als Mittel zur Weltverbesserung also bitte im Öko-Sack lassen, Preisstabilität zum Käufervorteil funktioniert anders besser, kommentiert Heinz Klaus Mertes.
Zunehmend Konjunktur haben Medien-Botschaften, dass die Deutschen bereit seien, für‘s Essen und Trinken mehr zu bezahlen, wenn denn damit der ökologischen Nachhaltigkeit, den natürlichen Ressourcen sowie Gesundheit und Geschmack gedient sei. Auf Verbraucherseite nämlich, so greift die Frankfurter Rundschau den medialen Trend auf, ließen sich „Einsparungen marktwirtschaftlich adäquat erreichen, indem Fleisch und andere Produkte angemessen bepreist werden“.
Über „wahre“ und „gerechte“ Lebensmittelpreise und unkritische Studien
Das gelte nicht nur für den am heftigsten als zu preisgünstig beschworenen Fleischkonsum, sondern auch für andere konventionelle Lebensmittel wie Milch, Obst und Gemüse – so eine Studie von Kommilitonen an der Universität Augsburg. Das Verbrauchermagazin ÖKO-TEST zimmerte daraus die Fanal-Überschrift „Unsere Lebensmittel sind viel zu billig“ – eine Botschaft, an die sich sodann nicht nur die SZZ, der Focus und der Bayerische Rundfunk dranhingen, was sodann Leser, Hörer und Seher in den löblichen Bewusstseinsstand der wahrhaft Aufgeklärten beförderte.
Die zitierten Eckdaten freilich über die „wahren“ und deshalb „gerechten“ Preise, die eigentlich an der Ladenkasse zu zahlen seien, dürften in jedem Familienhaushalt ein Angstbeben vor familiären Hungerödemen auslösen. Konventionell erzeugtes Fleisch – was immer das heißt – müsse laut der unkritisch verbreiteten Studienergebnisse das Dreifache kosten, Milch das Doppelte. Und für Obst und Gemüse müssten Käufer bitte ein knappes Drittel mehr zahlen. Sogar Lebensmittel aus pauschal so rubrizierter ökologischer Erzeugung kommen berichtsmäßig preislich nicht ungeschoren davon. Hier liege der gerechte All in-Ökoaufschlag laut „Studie“ immerhin noch zwischen 82 und 35 Prozent. Gerechter wäre es, so bilanziert ÖKO-TEST „wenn die Menschen, die konventionelle Lebensmittel kaufen, auch die späteren Schäden an der Supermarktkasse mitbezahlen müssen“.
Wie glaubhaft ist der ÖKO-TEST?
Nun muss man sagen, dass die SPD-Verlagsbeteiligung ÖKO-TEST, die als nationales verbraucherpolitisches Schwert Markt und Meinung bearbeitet, aktuell selbst weder durch Wahrheit noch Rechenhaftigkeit überzeugt. Mit falschen Auflagenzahlen wurden, wie jetzt herauskam, über Jahre betrügerische Werbegewinne gemacht. Und jene urkapitalistische Marktexpansion in das Reich der Mitte, um den Chinesen eine höhere Öko-Qualität einzutrichtern, erweist sich als aktivistischer Millionen-FLOP.
Mission: „Weltverbesserung“
Mehr noch aber erschreckt die wahnhafte Übersteigerung kommerziell durchdrungenen Missionsdrangs in Richtung Weltverbesserung – buchstäblich, koste es, was es wolle. Freilich steht das sich selbst desavouierende Verbraucherportal mit einer solchen Linie so einsam nicht da.
Die oft ideologisch motivierte und als Nachhaltigkeit verpackte Preistreiberei findet in nicht wenigen Veröffentlichungen ihren Niederschlag. Die angebliche Bereitschaft der Konsumenten, ökologisch motivierte Verteuerungen der Lebensmittel zu akzeptieren, mangelt es allerdings an überzeugender demoskopischer Verifizierung. Und wo sich vage Trends abbilden, sind Bekundungen nur unter Vorbehalt zu betrachten:
Über widersprüchliches Ernährungs- und Konsumverhalten
Denn, so etwa die Frankfurter Rundschau, „zwischen geäußerter Bereitschaft für ökologisch begründete Preissteigerungen und dem realen Einkaufs- und Ernährungsverhalten“ tue sich bei näherer Betrachtung des jüngst vorgestellten regierungsamtlichen Ernährungsreports „eine erhebliche Kluft“ auf. Das dem Consumerism prinzipiell zugeneigte Frankfurter Blatt lakonisch: „Die deutschen Verbraucher erzählen Märchen, wenn es um ihr Ernährungs- und Konsumverhalten geht.“
Über die Big Players der Preisbildung
Den TREND bestimmt am wenigsten die immer häufiger geschwungene pädagogische Preisrute. Die Wahrheit liegt vielmehr auch hier „aufm Platz“. Das heißt: Die Konsumenten an der Ladenkasse und zu Hause bei Tisch sind die wahren Big Players der Preisbildung. Hinzu kommt: Die Ernährungswirtschaft ist kein Monolith. Vielmehr steht sie mit ihren verschiedenen Sektoren von Agri- bis Vegankultur in pluraler Binnenkonkurrenz um Umsatz und ein optimales Preis-/Leistungsverhältnis. Das zügelt. Niemand wird zum Beispiel sagen können, dass die zurückliegenden, derzeitigen und schon angesagten Innovationen in Produktvielfalt, -gesundheit, in ökologischer Logistik des Vertriebs keine beträchtlichen Fortschritte aufweisen, dessen Kosten indes dank des zwingenden Tarements zwischen den Fronten inner- und außerhalb der Ernährungswirtschaft die vorherrschende relative Preisstabilität nicht durchlöchern. So wirkt sie eben – die Marktwirtschaft.
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Mertes ist Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik.