Der Erfolg des bayerischen Volksbegehrens „Rettet die Bienen“ entflammt die Lust auf mehr. Breite Medienunterstützung findet die Tagesschau-Erklärung der Grünen-Bundestagsfraktion, solche Initiativen zur Artenvielfalt nunmehr bundesweit in Gang zu bringen. Dies könnte eine Weichenstellung mit beträchtlichen Auswirkungen auf Landschaft, Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung haben. Den Medien kommt in der Begleitung dieser komplexen Zukunftsfrage mehr denn je entscheidende Informationsverantwortung zu. Polarisierende Tunnelblicke von gestern und heute verhindern den erforderlichen pluralen Gesellschaftstskodex, erläutert Medienkommentator Heinz Klaus Mertes.
Jeder, der öffentliche Vorhersagen macht, ist erleichtert, wenn diese dann auch eintreffen. Bei der Prognose in der zurückliegenden Medienkolumne, dass das Volksbegehren in Bayern unter dem gefühligen Kampagnentitel „Rettet die Bienen!“ das erforderliche Millionen-Quorum der Bürger*innen erreichen würde, war das allerdings nicht allzu gewagt.
Die Aussteuerung zwischen industrieller Zivilisation und Naturbewahrung erfordert mehr als edle Aufwallungen
Wer die kostümierten Bienenmännchen und -mädchen in den Unterzeichnerschlangen vor den Rathäusern sah, wusste: Die Kampagne zündet, sie trifft einen Nerv, der weit in die Stimmungslage der bürgerlichen Konsumgesellschaft hinein reicht. Viele verbindet der Wunsch, eine Aussteuerung der Industriegesellschaft zwischen Erzeugen und Verbrauchen im Sinne der Naturbewahrung anzustreben. Das ist der biomassive Trend, der sich auf breiter Front nicht erst jetzt im Bürgervotum, sondern dank täglich funktionierender Verbraucherabstimmung in Geschäften und Märkten der Ernährungswirtschaft schon länger dokumentiert. Bemerkenswert zum Beispiel die selbstkritisch-kategorische Kurserklärung zu Fortschritt und Nachhaltigkeit, die Edeka-Chef, Markus Mosa, im Bild am Sonntag-Interview vom 10. Februar 2019 öffentlich formulierte: „Beim Klimaschutz muss Edeka noch Hausaufgaben machen.“
Man muss aber sehen: Bei Umsetzung des jetzt in die Gesetzespipeline kommenden Volksbegehrens „Artenvielfalt“ gehen die Wirkungen über die geforderte Blühwiesen-Vermehrung und Uferstreifenverbreiterungen sowie andere landwirtschaftliche Regulierungsziele in dynamischer Kettenreaktion weit hinaus. Primär-, Sekundär- und Tertiärwirkungen werden naturgemäß durchschlagen auf die Anbauweisen auch für Lebensmittel, also auf das, was unsere Ernährung bestimmt – auf gut Deutsch, was auf den Tisch der Millionen kommt – qualitäts- und preisgerecht.
Der Lebensmittelsektor steht inmitten von Wandel und Umsteuerung
Schon jetzt dringen in den Medienveröffentlichungen die Zwangsläufigkeiten interruptiven Wandels etwa beim Milch- und Fleischverzehr durch. Und natürlich ebenso die Appelle, dass man sich mit höheren Lebensmittelpreisen als Folge verringerter Anbauflächen und zahlreicher anderer Auflagen doch bitte bereitwilligst abfinden möge. Ob das die Haushalte mit prekär engem Einkommen auch so sehen? Der bisher relativ geringe 13 Prozent-Anteil der Ernährung an den Lebenshaltungskosten hat in durchschnittlichen privaten Haushalten nicht viel Luft nach oben, dokumentieren die gern übersehenen amtlichen Statistiken.
Wenn denn also aus der enthusiastischen Bewegung, die weit über Bayerns Volksbegehren hinausgreift, mehr werden soll, als eine romantische Wallung, gehört zum ehrlichen öffentlichen Diskurs, die komplexen Verhältnisse, die Zielkonflikte und die vielfältigen Betroffenheiten solcher Umsteuerung objektiv auszubreiten. Dies ist bislang in der Medienberichterstattung nicht unbedingt gelebte Maxime. Noch immer dominiert die Mission vom einzig Wahren. So gerieten im Vorlauf des Volksbegehrens ausgerechnet diejenigen unter Rechtfertigungsdruck, die dem Werden und Wachsen in der Natur kulturell und professionell näher stehen als jeder andere Berufsstand in dieser Gesellschaft, nämlich die Bauern. Das Stimmungsklima kehrte sich gegen sie, wenn sie die Positionen und teilweise sogar naturschutzwidrigen Effekte kritisch beleuchteten, die im Papier des Volksbegehrens aufgeschrieben sind.
Die plurale Sicht soll nun nach weiser Ankündigung der Bayerischen Staatsregierung an einem runden Tisch erarbeitet werden, der die Kompetenzen vereint und für den Erhalt der Artenvielfalt die gesamte gesellschaftliche Zivilisation ins Auge fasst – von den gepflasterten Auffahrten und Gartenmonokulturen rund um Privatgrundstücke bis zu den Golfplätzen mit SUV-Frequenz. Einige mediale und sonstige Multiplikatorenprofis scheinen schon dabei, immer noch übliche FLOPs der Einäugigkeit zu überwinden.
Selbst die grundsätzlich basisgeneigte ZEIT gibt ironisch ihrer Verwunderung über den Umschwung Ausdruck: „Plötzlich setzen sich SUV-Fahrer für die Bienen ein. Auf der anderen Seite fühlen sich Landwirte allein gelassen.“
Gesellschaftskodex statt Tunnelblicke des Weltuntergangs
Dass der Horizont der Weichenstellungen sich nunmehr weitet, weil die Bürgerwallung erst noch in die parlamentarischen Gänge zu kommen hat, mag für den Moment etwas beruhigen.
TOP wäre allerdings wäre, wenn die Millionen Unterschriften am Ende zur Gesetzestinte eines weitreichenden gesellschaftlichen Kodexes würden, der nicht spaltet. Dies freilich würde im abschließenden Gesetzesverfahren zumindest ein Ertragen von parlamentarischen Mehrheitsentscheidungen voraussetzen – anstelle eines sich fortsetzenden Protestaktivismus. Allerdings ahne ich, das ist bei den derzeitigen NGO-Selbstverständnissen eine wohl eitle Hoffnung, vielleicht auch zu viel erwartet. Obwohl es erkennbar nicht weiter bringt, mit Welt- und Menschheitsuntergangsszenarien jene Tunnelblicke zu kreieren, die bisher aktivistische Veränderungspolitik kennzeichnen.
Selbst ein in NGO-Kämpferehren ergrauter Thilo Bode (72), kann davon nicht ablassen („Wir sind noch nicht wütend genug.“) In einem hommageartig aufbereiteten und seinem neuen Buch als Reichweitenhilfe dienenden SZ-Interview, sieht der Foodwatch-Gründer noch immer Angsterzeugung als legitimes Mittel des ökologisch begründeten Aufruhrs. „Da lügen wir uns immer noch in die Tasche“, skandierte er im SZ-Interview vom 1. Februar 2019.
Panik als Methode proklamiert bekanntlich auch die 55 Jahre jüngere schwedische Schulstreikerin bei ihren Auftritten auf den globalen Bühnen der Untergangsopern. Da erhebt sich die Generationenfrage: Wer schaut zu wem auf oder herab? Wer applaudiert? Wer rezensiert? Wer hält die Augen offen, wenn es aus dem Dunkel der Endzeitprophetie in die gleißende Realität von Wirtschaft und Gesellschaft geht?
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Mertes ist Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik.