Inwieweit entwickelt sich das bayerische Volksbegehren zur Artenvielfalt zum Momentum eines neuen Medienklimas, das gesellschaftliches Zusammenwirken höher im Wert notiert als dogmatische Polarisierung, Gesetzeszwang und Non-Aktionismus? Die Medienkolumne der Woche von Heinz Klaus Mertes am Beispiel der Diskussion um Lebensmittelverschwendung.
Weder Politik noch Wirtschaft und am wenigsten die Märkte, auf denen sich Verbraucher und Produzenten finden, können an gesellschaftlichen Stimmungswenden vorbeigehen. Und auch nicht die Medien, die sich oft als Regisseure solchen Wandels sehen.
Dass das ZDF heute-journal am 20. Februar ein gutes Drittel seine kostbaren 29:09 Minuten Länge dem Ernährungssektor widmete, beleuchtet, wie tief und breit die Richtungsfragen des Anbauens, der Produktion, des Handels, des Verzehrs und der Endverwertung von Lebensmitteln den Blutkreislauf von Wirtschaft, Gesellschaft und damit der Politik bestimmen. Mit entsprechenden Moderations- und Bildarchiveffekten wölbte sich die Stafette der Beiträge von – natürlich! – dem bayerischen Bienenvolksbegehren über die tagesaktuell von Bundesernährungsministerin Julia Klöckner (CDU) verkündete „Nationale Strategie“ zur Abfallreduzierung nicht gekaufter oder nicht verzehrter Lebensmittel. Die Bundesregierung will dazu im Kosmos von Unternehmen, Verbänden, Ländern und Wissenschaft Maßnahmen auf kooperativer Basis zu erarbeiten.
Runde Tische im Trend: Das nachhaltige Infoklima wandelt sich
Kooperation statt Gesetzeszwang – genau das ist die bisher einzige Konfliktlinie, die das breite überwiegend positive Medienecho auf das Vorhaben durchzieht. Die sinnvolle Kooperation auf der ganzen Linie der Lebensmittel-Wertschöpfung und -Logistik wird wie schon zuletzt bei der Reduktionsstrategie zum Fett-, Zucker- und Salzkonsum mit dem Vorwurf der „Freiwilligkeit“ stigmatisiert, als sei solches Zusammenwirken politisch geradezu unkeusch.
Dass die taz das Regierungsprojekt mit dem Kommentar abtat, Klöckner wolle „diskutieren, gut zureden, forschen, aufklären“, aber nicht mit regulierenden Verboten operieren, verwundert nicht übermäßig. Allerdings auch die FAZ ironisierte unter der Überschrift „Hattu Möhrchen?“ die freiwillige Basis. Die Wegwerfsünder bekämen es von Klöckner nicht „auf die Löffel“.
Es mehren sich indes die Anzeichen, dass dieses Prinzip eine bessere Konjunktur im öffentlichen Informationsklima bekommt. Es ist ja auch nicht nachvollziehbar, warum diese Maxime ethisch weniger wertvoll, weniger erfolgreich oder auch nur weniger sympathisch sein, soll als der Knüppel des Gesetzeszwangs. Auch in anderen Bereichen profitieren Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung unter den Augen einer wachsamen Öffentlichkeit von solchen Kontrakten der relevanten institutionellen Kräfte untereinander. Wer soll es sich den leisten können, sich einem so gezimmerten Kodex zu entziehen?
So verlagert sich die Stimmung bei Themen möglichst ökonomischen wie ökologischen Umgangs mit den Lebensmittelmengen auch auf Ratschläge und Appelle an die Verbraucher zu neuer Sorgsamkeit. Die Welt titelte zum Beispiel „Vor dem Wegwerfen erst mal dran riechen“ und wärmte dabei die Diskussion über die Verwechslung von Mindesthaltbarkeits- und -verfallsdatum von Lebensmitteln auf, das in allen gängigen Medien bereits opulent serviert wurde. Macht aber nichts – vielleicht ist mediale Redundanz die Mutter der Volkspädagogik. Aber sie scheint zu wirken.
Aktionistische Polarisierung gerät zwischen die Stühle
Zögerlich zwar noch rührt sich in Ernährungsfragen eine „Runder-Tisch-Sehnsucht“, die ein Ende macht mit aktionistisch dogmatisierter Polarisierung. Effektvoll dynamisiert durch Bilder und Berichte von der Großrunde, die jetzt in Sachen Artenvielfalt zum bundesweiten Momentum generiert für eine konstruktiver Kumulierung von Kompetenzen und Potentialen in Richtung eines verbindenden gesellschaftlichen Konsenses. Kaum ein Kommentator, der das nicht als eine Top-Entwicklung wertet, wenn auch noch auf dünnem Eis. Wie die SZ überschlagen sich die Medien nach dem ersten Zusammentreten des runden Tischs in München im Zitieren wechselseitiger Liebes- und Lobesbezeigungen der neuen Sitznachbarn aus den verschiedenen, zum Teil kräftig differierenden Interessenbereichen.
Wer demgegenüber allerdings zwischen die Stühle der gut inszenierten neuen „Entente cordiale“ zu geraten scheint, sind ganz offenkundig jene Akteure, die ein „Non“ als Vorsilbe ihres Namens und Wirkens publizistisch zu Markte tragen. Den ansonsten bei solchen Gelegenheiten mächtig auftrumpfenden NGOs versagen zurzeit anscheinend die sonst so zuverlässigen medialen Stimmbänder. Während alle Welt ökologischer Nachhaltigkeit sich dem Trend des Zusammenwirkens statt Polarisierens zuneigt, verzetteln sich etwa die Foodwatch-Pressemitteilungen der Top-Aktualität dieser höchst spannenden Februargeschehens im dünnen Wiederholen von altbekannten Dogmen..
Warum fällt mir an dieser Stelle auf einmal der Titel eines Politbestsellers von ehedem ein. Indes vielleicht den ursprünglichen Titel dann doch etwas weniger drastisch abgewandelt und mit Fragezeichen: „Vernascht die Revolution ihre Kinder?“
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Mertes ist Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik.