Frühjahr, Karneval, Fastenzeit – Da haben auch Ernährungs- und Diättipps wieder Hochsaison. Verbraucher haben nichts davon, meint Heinz Klaus Mertes in seiner Medienkolumne.
„Am Aschermittwoch ist alles vorbei.“ Der Abgesang der närrischen Saison stimmt für das mediale Schunkeln der Berichterstattung über Kunst, Wissen, Gesundheit und Lifestyle des Sich-Ernährens ganz und gar nicht. Gegen März türmt sich alljährlich die Saison für die Ausbringung der publizistischen Nachfragesaat für das, was auf den Tisch kommt, zu kommen hat, um das angebrochene Jahr gesund und formschön hinzubekommen. Auch die Perspektive auf die kulturell verwurzelte Fastenzeit wirkt selbst bei profanen Blättern und Zeitgenossen. Vielleicht auch zur Besinnung, warum ideologische Fixierungen bei Ernährungstipps immer noch durchschlagen.
Den zivilgesellschaftlichen Lebensrhythmus im Vorfrühling nutzte Trend-Maker Stern zu einem mächtigen Aufschlag mit der Ausgabe vom 21. Februar: „So kochen Sie sich gesund!“ war das Coverversprechen („Der neueste Stand des Wissens“), das dann im Inneren über zehn Lese- und Bilderseiten der redaktionellen Unterweisung harrte und inzwischen auch online veröffentlich wurde.
Stern-Titelreport über gesunde Ernährung mit ideologischem Webfehler
Insgesamt ein wirklich fleißiges journalistisches Stück mit gekonntem Research dessen, was die Medienwelt zu diesem Thema so am Köcheln hält. Die Mediastatistik zeigt, dass dieser Stern-Titel sich im generellen Auflagenschwund des Magazins ganz gut hielt, besser jedenfalls als der Durchschnitt. Auch dies ist ein weiteres Indiz dafür, wie Ernährungsfragen im Zenit des Publikums- und Verbraucherinteresses stehen und so die Media-Quoten stabilisieren.
Umso bedauerlicher, dass die sich zwischen zahlreichen Ratgeberkästen erstreckende Story nicht wirklich trug. Bestseller-Autor Bas Kast mühte sich als bekennender Autodidakt, im Dickicht von tausenderlei Studien und persönlichen Tipps eine informative Schneise zu markieren, verzettelte sich aber leider auch im Schlingengewächs ideologischen Sichelns. Sein A&O-Dogma für gesundes Essen ganz vorneweg kodifiziert, sich als erstes von dem „verarbeiteten Essen der Industrie zu verabschieden“. Das hat schlichtweg ideologische Schlagseite, ist realitätsfern und weltfremd dazu.
Schade, dass sich ein Autor, der in Ernährungsfragen im G&J-Medienverbund zum großen Schlag ausholt, sich zu so einer pauschalen Fehlorientierung hinreißen lässt – die dann die Kompetenz des sonstigen zusammengetragenen Infokonglomerats samt 111 Rezepturen durchlöchert bis entwertet. Beleuchtet wird freilich einmal mehr die Magie von Vorurteilen.
Die Multiplikationswirkung der Medienzentrifuge
Es ist ja vielmehr umgekehrt: Die extensive Forschung und Wissenschaft der Lebensmittelindustrie ist es, die eine breite Qualitätsversorgung der Verbrauchergesellschaft unter gesundheitspolitischen Zielen und Prämissen überhaupt ermöglicht. Mit Sicherheit hätten der Bestseller-Autor und die verantwortende Redaktion gut daran getan, eine solche Faktenerkundung für die Leserinformation anzustellen.
Die Wirkung einer solchen auch nur einzelnen Fehlinformation ist beträchtlich. Einige Hunderttausend interessierter, wirtschaftsaktiver, aber irregeführter Stern-Leserinnen und -Leser, sind für sich alleine schon kein Pappenstiel. Hinzu kommt die vehemente Multiplikationswirkung durch die Übernahme eines solchen Fehlers in anderen Medien, was wie eine Meinungszentrifuge quasi grenzenlos wirkt. So zum Beispiel fand sich in der Berichterstattung der Bild-Zeitung („Der Ernährungsplan, der uns und unserer Erde guttut“) wenige Tage später der gleiche Tenor wie auch sich fortsetzend in Funk, Fernsehen und Netz.
Die Dialektik eines Medienhypes
Ist ein solcher Einzelfall all des Aufhebens wert? Und ein gesamtwirtschaftlich zentraler Sektor wie die Ernährungswirtschaft vielleicht zu empfindlich, wenn er in diesen Zusammenhängen an journalistische Faktentreue, Objektivität, Verantwortung erinnert?
Sicher nicht, meine ich. Der Kampf um Wahrheit, Köpfe, Herzen und auch Mägen hat viele Gesichter und Wirkungen. So hat das journalistische Lied von der Ernährung zwar schier unendlich viele Strophen, nicht selten auch mit schmerzhaft schrillen und schrägen Tönen. In der dialektischen Gesamtwirkung dann indes auch wieder kein ausschließlich garstig‘ Lied für die Branche. Denn die mediale Hype-Konjunktur rund ums Essen und Trinken hält den Markt frisch, pflügt und düngt den Boden für innovative neue Absatzfelder mit Setzlingen, die sich sodann an den Märkten zur Ernte auswachsen können. Sofern, ja sofern, sie die Reifezeit im Witterungsumfeld strengster Qualitätskonkurrenz, ständigem Regulierungsregen aus Brüssel und Berlin sowie medialem Blitz, Donner und NGO-Hagel durchstehen.
Welche Branche sonst kann sich schon derart nie endender Aufmerksamkeit erfreuen? Sogar, wenn die tollen Tage vorbei sind.
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Mertes ist Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik.