Wie viel professionelle Expertise braucht die Weltrettung? Und wer leistet den Infotransfer, nicht zuletzt auch in Sachen Ernährung, fragt sich Politik- und Wirtschaftsjournalist Heinz Klaus Mertes.
Straßendemos sind keine Laborveranstaltungen. Nicht Fakten werden fernsehgerecht plakatiert, sondern Forderungen und einfache Formeln. So auch bei den sich wöchentlich vermehrenden Schulstreiks. Es geht um viel, nämlich das Weltklima und die Menschheitszukunft an sich, also um alles. Pflichtberichterstattung naturgemäß in den nationalen Nachrichtenschauen; die multimediale Zentrifuge funktioniert landauf landab, überwiegend mit nicht nur klammheimlicher Sympathie in und zwischen den Zeilen.
Jugendliche Klimafuturologen
Es schien, als hätte FDP-Chef Christian Lindner in ein Wespennest gestoßen. Es ging allerdings um mehr als um die bienenromantische Vorliebe für Artenvielfalt der Insektenvölker. Die Massenbewegung „Fridays for future“, die sich zunehmend internationalisiert, bringt ganze Züge von Schüler*innen auf die Straße. In Hamburg etwa demonstrierten unter der anhimmelnden Zugkraft von Greta Thunberg mehr als 40.000 jugendliche Klimafuturologen mit eschatologischen Drohplakaten wie „We dont have time“. Das zündet natürlich bis hinein in die Politik.
Nur dem eigentlich zur liberalen Toleranz verpflichtete FDP-Chef mundete wohl die populistische Suppe nicht. In Anne Wills deutschem Sonntagabend gab er zu bedenken, dass Heranwachsende im Noch-Lernalter vielleicht nicht so ganz die Übersicht hätten über die hochgradig komplexen Zusammenhänge und Wirkungen des globalen Klimas wie die Experten in Forschung, Wissenschaft und in jenen Wirtschaftszweigen, die nach bestem Wissen und Gewissen die Klimaentwicklung hochrechnen müssen, um der Gegenwart gerecht zu werden und eine generationenfeste Zukunft nicht zu verpassen.
Wer leistet die Expertise im Sturm und Drang der Generationenfragen?
Eigentlich eine Art Schicksalsgemeinschaft mit den jungen Leuten der Freitagsrevolte! Nur dass diese „Profis“ der Fachwelt in aller Regel die dafür erforderlichen Bildungswege nicht bestreikt, sondern erfolgreich absolviert haben. Verlangt Lösungssuche neben Bekennertum nicht auch Expertise, also mehr als Sturm und Drang? Und dafür nicht zuletzt den geregelten Schulbesuch im Curriculum von den Elementarstufen aufwärts. Diese Gedankenverbindung hätte Lindner wohl besser hinuntergeschluckt. Der Shitstorm im Netz und in sich absetzenden Politik- und Medienkommentaren hatte Orkanstärke.
Wissenschaft und Medien – zwei Welten ringen miteinander
In die überquellenden Echokammern drängte sich dann noch eine Verbaldemonstration von angeblich rund 12.000 der von Lindner als notwendig erachteten Profis („WissenschaftlerInnen und IngenieurInnen“), ganz vorne Medienfiguren wie der Quiz- Moderator Eckhart von Hirschhausen. Medienstimmung und populäre Reichweite garantiert.
Den reichlich und seriös aufgestellten Wissenschaftsredaktionen in Zeitungen und Zeitschriften verschlug es die Sprache. Die SZ immerhin traute sich, in einem 39-Zeilen-Kommentar am 13. März die symptomatische, strukturelle Strukturfront zwischen Mediengesellschaft auf der einen und Fachwelten auf der anderen Seite anzusprechen und die Aktivisten mit wissenschaftlichem Branding kritisch anzugehen. Die Überschrift: „Riskanter Rollentausch“ ist ein treffender Befund der journalistischen Gegebenheiten.
Medien sind Dienstleister des Wissenstransfers, keine Dirigenten
In Vorträgen und Podiumsrunden habe ich immer wieder Verwunderung mit der These ausgelöst, dass die Welt des Journalismus – obwohl ihr selbst zugehörend – zu weiten Teilen eine Welt des berufsmäßigen Dilettierens sei, die naturgemäß mit der Expertenwelt des spezifischen tiefgründigen Fachwissens in Dauerreibung stehe. Also eine systemische Kommunikationsschwelle, die fernab vom Sturm und Drang eigener Wahrheitsverkündung der professionellen Dienstleistung des Informationstransfers zwischen beiden Sektoren bedarf. In vielen derzeit virulenten Richtungsfragen in Politik und Gesellschaft, ob Auto und Verkehr, Medizin und Genforschung oder Bevölkerungswissenschaft und Sozialsysteme oder – keineswegs zuletzt – in nachhaltiger Ernährung und Gesundheit, tut sich dieses Spannungsverhältnis kontinuierlich auf, und zwar mit zunehmender Vehemenz. Dies umso mehr, als die neue „vierte Gewalt“ der sozialen Medien die klassische, althergebrachten Informationsfronten mit kaum übersehbaren Ausfällen im Kampf um Köpfe durchlöchert.
Da ist es ein wahres Medienerlebnis, wenn Wissenschaft über Theorie und journalistische Stücke über eine Oberflächenbearbeitung hinausgehen. Wie es die SZ auf ihrer Seite Drei am 12. März mustergültig im Reportageformat vorexerziert hat: Nicht ein Experte der hochangesiedelten technologischen Laborwelt, sondern einer mit dem Ackerboden unter den Füßen lieferte unter der Überschrift „Hallo?“ einen lebensnahen Durchblick hinsichtlich der digitalen Anforderungen in der Landwirtschaft heute und morgen, der mehr Informationsgewinn im allgemeinen Wissensstand leistet als hunderterlei Studien der Zukunftsforschung.
Die Kommunikation zwischen den Welten braucht viele Brücken, vor allem solche, die begehbar für alle sind, und zwar von beiden Seiten.
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Mertes ist Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik.