Gute Nachrichten mit glänzenden Aussichten – und trotzdem mitschwingende Töne der Verunsicherung? Die gibt es bei der Branchenentwicklung und deren medialer Kommentierung des hochdynamischen Wachstums auf dem Bio-Anbau, -Handels und -Verbrauchermarkt.
Der „Appetit auf Bio wächst“, verkündet in konstanter Regelmäßigkeit die Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Innerhalb eines Jahrzehntes hat sich der Bio-Anteil an der Lebensmittelproduktion auf rund 11 Mrd. verdoppelt – eine Erfolgsgeschichte, die naturgemäß rundum Hunger macht.
„Bio kommt im Mainstream an“ ist allenthalben die medial verbreitete Branchenbotschaft zur Bio-Wertschöpfungskette vom Anbau über die Erzeugung bis zum Handel
und Endverbrauche. Das Bio-Segment ist aus der Ecke zum Breitenformat an den Kundenfronten herausgewachsen, befindet der Stern in einem ausführlichen Report, wie die Anbieter in vehementer Konkurrenz versuchen, sich bei der Teilhabe wechselseitig „auszubremsen“.
Erfolg macht die Marktkräfte hungrig
Der medialen Begleitresonanz, ansonsten eher avers gegenüber den „Großen“ in Industrie und Handel merkt man eine gewisse Ambivalenz beim diesbezüglichen Berichten und Kommentieren an. Einerseits gilt die ständige machtvolle Ausdehnung des Bio-und Ökomarktes natürlich gemeinhin als ein zivilisatorischer Positiv-Trend der Ernährung, andererseits könnte sich der exklusive, lizenziert ausgewiesene Anspruch verwischen, so eine gewisse Befürchtung. Siegt sich Bio also zu Tode? Wie weiland jener königliche Emporkömmling der im Kampf das beherrschende Imperium Romanum mit zahlreichen Siegen erschütterte, aber doch unterworfen blieb.
Die Zeit der exklusiven Nischen ist vorbei
Anlass ist der aktuell veröffentlichte Sonderbericht des EU-Rechnungshofs zu den Kotrollen von Ökolebensmitteln. Demnach ließ sich nicht ermitteln, wer die Bioprodukte erzeugt hat. Immerhin lag die Erfolgsquote bei den Produkten aus EU-Ländern bei 83 Prozent, aber nur bei 58 Prozent bei EU-Importen. Und global ist nun einmal normal auf dem Gebiet der Ernährung.
Überschriften-Fazit im Hinblick auf die bedrängte bisherige Exklusivität: „Gut muss noch besser werden.“ Dazu freilich werden die großen Players des Handels, die im Bio-Aufbruch sind, mit ihrer ausgefeilten Logistik und Qualitätssicherung wesentlich beitragen, wenn nicht anschieben können.
Der Bio-Sektor hat Akzeptanz und Innovationspotenzial
Den Mega-Verbrauchertrend zu nachhaltigeren Lebensmitteln wird niemand verhindern können und gehört niemandem exklusiv. Der Bio-Sektor verfügt indes dafür über enormes Erfahrungs- und Innovationspotential, das in Konsens und Akzeptanz von Markt und Politik liegt. So macht der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft derzeit Schlagzeilen mit dem selbstbewussten TOP-Anspruch, Agrar- und Wirtschaftspolitik „enkeltauglich zu machen“, was nicht nur Foodwatch animierte.
Aber auch hier ist es ist nun einmal so: Konkurrenz belebt das Geschäft. Doch der Weg „zwischen Kopf und Topf sei lang“, befand der Kölner Stadtanzeiger und berge viele neue, auch riskante interruptive Marktchancen der Ernährungskultur. „Das heilige Recht auf Currywurst“ will die taz aber nur dem geneigten Publikum der Bild-Zeitung zugestehen.
Auch hier allerdings werden Markt und Verbraucher mitentscheiden.
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Mertes ist Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik.