Welche Trends im Bereich der Ernährung setzen sich durch, welche vergehen wieder? Heinz Klaus Mertes hat fachkundige Stimmen dazu gesammelt.
Täglich sind neue Trends in den sich wandelnden Ernährungsweisen der modernen Gesellschaft angesagt. Die Publikationen darüber sind der Schlüssel für die Akzeptanz innovativer Märkte rund um eine Esskultur, die ernährungsbewusstes Leben bereichert.
Ernährung = Trend?
„Ernährung an sich ist ein Trend“, so der bündige Befund der Berliner Ernährungsforscherin Eva-Maria Endres. Im höchst informativen Interview mit der Augsburger Allgemeinen am 26. März sagt sie, warum das so ist. Und führt überhaupt eine Menge Lesenswertes aus über die Trend-Inflation rund ums Essen und Trinken. Damit verführt die diplomierte Foodexpertin zu einer Kolumne auf einem rutschigen, wenn nicht sogar verminten Gelände. Nämlich zu der Beschäftigung mit einem der wohl am häufigsten artikulierten Begriffsphänomene der Gegenwart – dem „TREND“. Die Kunst, alles und jedes zum Trend zu erklären, scheint fast zum faustischen Momentum öffentlicher Kommunikation schlechthin geworden – rund um die Welt quer über Zivilisationen und Kulturen und allgegenwärtig strapaziert in den Medien.
Von den Fakten zum Thema, vom Thema zum Trend
Was im Journalismus früher einmal ein Stoff namens Information war und so hieß, stilisiert sich heutzutage zur Themenspirale, womit man journalistisch schon etwas an Höhe gewinnt. Dann aber, ja dann, kommt die Erhebung zur wahren publizistische Apotheose – nämlich zur Trendweihe.
Der unwiderstehliche Vorzug: Man erwirbt sozusagen den schimmernden Nimbus der Deutungshoheit – einmal nicht bloß über die graue Vergangenheit, sondern über Gegenwart und vor allem die spannende Zukunft. Welche Medien- und welche Marketingschaffenden möchten da nicht mit von der Partie sein? Quasi biotopisch wachsen beide Influencer-Mächte allerorten in Markt und Meinung für die trendige Reichweitenoptimierung zusammen. Publizistische Schaffensregel: „The trend is my friend.“
Insbesondere das öffentliche Traktieren der Ernährungswellen bildet schier ozeanische Gezeitenströmungen – angereichert mit einer unendlicher Fülle an umtreibendem Plankton, an dem sich kleine Fische wie Trendhaie sattsam nähren. Über allem schäumt dabei die Preisfrage: Wie wird ein Lebensmittel zum Trend?
Wie werden Nahrungsmittel zu Trend-Food?
Vor zehn Jahren noch, so kommentiert den Megatrend die oben zitierte Berliner Forscherin, Publizistin und Ernährungsberaterin, habe der Anteil der „Quality Eaters“, also derer, die sich sehr gesund, qualitativ hochwertig und bewusst ernähren, in Deutschland bei vielleicht fünf Prozent gelegen. Heute seien es schon etwa 25 Prozent. Tendenz steigend.
Undenkbar sei ein solcher Bedeutungssprung ohne den fortwährenden Push in den Medien. Essen habe besonders in den sozialen Netzwerken eine solche Omnipräsenz eingenommen, dass man „quasi ständig davon umgeben“ sei. In der Tat, auf Instagram und bei YouTube zum Beispiel setzen Influencer mit Vorliebe zahllose Trendinputs. Von da aus geht das dann viral weiter – manchmal sich über Jahre hin erstreckend; bisweilen indes auch schnell verblühend, wenn die Anmutungen gar zu exotisch sind, wie zum Beispiel manche poppig-bunten asiatischen Ess-Inszenierungen. Dass Foodtrends in Europa immer in Richtung Natürlichkeit gehen, ist allerdings laut Gastroexperience auch keine Patentformel.
Über die Halbwertzeit von Esstrends
Regional rigider zum Beispiel als lange Zeit der fränkische Sternekoch Benedikt Faust, den das manager magazin im aktuellen Heft porträtiert, konnte kaum ein Küchenchef sein: Alle Zutaten rein aus der Region. Nach fünf Jahren aber lockerte der Starkoch den kategorischen Imperativ „Pures Franken“. Fast jeder Hype und Trend sei „nach spätestens fünf Jahren ausgelutscht“, offenbarte er seine gastronomische Kundenstrategie von Manager zu Manager. „Dann muss man ein neues Gewand anziehen.“ Jetzt gibt es in seinem Würzburger Feinschmeckerrestaurant deshalb auch Internationales unter dem Rubrum „Franken weltoffen“. Der Spitzenkoch unternehmerisch: „Man darf sich nicht der realen Nachfrage von Kundengruppen verschließen. Man muss ja auch wirtschaftlich denken.“
Und damit wären wir – so dämpfend das für manche apodiktische Trendprophetie sein mag – bei dem, was im Endeffekt über TOP oder FLOP entscheidet: Nämlich, was bei den Verbrauchern ankommt, was ihnen gut tut und was ihnen die jeweilige trendige Verheißung wert ist, also was ihnen im umfassenden Sinne schmeckt und bekommt, und zwar dauerhaft – nachhaltig sozusagen im besten Sinne des Wortes.
Nur dann wohl verstetigen sich Trends zu jener Beständigkeit „aus Erfahrung gut“, wie der führende Zukunftsforscher deutscher Zunge, Matthias Horx, in Studien und Publikationen seines Zukunftsinstituts belegt. Den publizitätsstarken Wissenschaftler bringt in seinen Veröffentlichungen dabei immer wieder „das alarmistische Paniksystem, den Hang der Medien, das Publikum aufzupeitschen“ in Harnisch. Ob der Gesellschaftsanalytiker dabei auch an solche dramatischen Selbstilisierungen wie „Essensretter“ denkt, bleibt unerwähnt. Der ökologiekundige Trendforscher und Wirtschaftsexperte jedenfalls gibt sich seinerseits fast gegenläufig weise: „Wenn man sich viel mit Trends beschäftigt, realisiert man, dass die Welt heute viel besser ist, als sie je war.“
Die Welt der Ernährung hat der Forscher dabei in seinem reichen Schrifttum ausdrücklich mit einbezogen.
„Die Fakten sind heilig. Die Kommentare sind frei.“
Heinz Klaus Mertes ist als Medienproduzent, Berater und Autor für Verlage, Sender sowie Unternehmen und Verbände tätig und gehört verschiedenen Branchengremien an. Davor war er u.a. Programmdirektor von Sat.1, Fernseh-Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks und Chefredakteur der „Versicherungswirtschaft“. In seiner Kolumne auf Filetspitzen.de schreibt er über aktuelle Tops, Flops und Trends in Medien, Wirtschaft und Gesellschaft. Mertes ist Träger des Konrad Adenauer-Preises für Publizistik.